Entscheidungsstichwort (Thema)
Richtervorlagen wegen Zusammenlegung der Hauptzollämter in Nordrhein-Westfalen unzulässig. Garantie des gesetzlichen Richters
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Hinweis des vorlegenden Gerichts auf den Senatsbeschluss vom 16. Juli 1969 (BVerfGE 27, 18) vermag die Annahme einer Verletzung der Gewährleistung des gesetzlichen Richters nicht zu tragen. Die in § 68 Abs. 1 OWiG angeordnete Verknüpfung der gerichtlichen Zuständigkeit mit dem Sitz der am Verfahren beteiligten Behörde ist nach dieser Entscheidung verfassungsrechtlich gerade nicht zu beanstanden. Der Zweite Senat hält es im Hinblick auf den mit der Verlegung eines Behördensitzes verbundenen organisatorischen und technischen Aufwand für praktisch ausgeschlossen, dass die Exekutive im Einzelfall die gerichtliche Zuständigkeit auf diesem Wege in sachwidriger Weise zu beeinflussen versucht. Anhaltspunkte, dass die Sitzverlagerung willkürlich erfolgte, liegen nicht vor und wurden auch nicht dargelegt.
2. Zu den Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG an einen Vorlagebeschluss hinsichtlich der Auseinandersetzung mit der Rechtslage, der Berücksichtigung der in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansichten und dem Eingehen auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten der relevanten Norm.
3. Soweit die Vorlage beanstandet, dass § 405 Abs. 1 Nr. 3 SGB III i. d. F. vom 23. Juli 2004 sowie § 12 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG auf den Geschäftsbereich der dort genannten Behörden abstellen, eine gesetzliche Bestimmung des Geschäftsbereichs jedoch fehle, bleibt sie ohne Begründung. Ebenso stellt sich hinsichtlich des § 405 Abs. 1 Nr. 1 SGB III i. d. F. vom 23. Juli 2004 nicht die Frage einer Zuständigkeitsüberschneidung zwischen den Behörden der Zollverwaltung und der Bundesagentur für Arbeit, weil jeweils eine enumerative Zuordnung der zu verfolgenden Ordnungswidrigkeiten erfolgt.
4. Den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 2 S. 1 BVerfGG genügt nicht der pauschale Hinweis auf einen Art. 19 Abs. 4 GG zuwiderlaufenden erheblichen Anstieg des Prozess- und Kostenrisikos durch die Neuorganisation der Zuständigkeit.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4, Art. 100 Abs. 1, Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1; BVerfGG § 80 Abs. 2 S. 1, § 81a S. 1; FVG § 12 Abs. 1; HGO § 1; OWiG § 36 Abs. 1 Nr. 1, § 68 Abs. 1 S. 1; SchwarzArbG § 12 Abs. 1 Nr. 1; SGB III § 405 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Bielefeld (Vorlegungsbeschluss vom 18.04.2006; Aktenzeichen 39 OWi 44 Js 534/06-314/06) |
AG Bielefeld (Vorlegungsbeschluss vom 22.02.2006; Aktenzeichen 39 OWi 53 Js 2636/05-1171/05) |
AG Bielefeld (Vorlegungsbeschluss vom 13.02.2006; Aktenzeichen 39 OWi 64 Js 2244/04-43/05) |
AG Bielefeld (Vorlegungsbeschluss vom 09.02.2006; Aktenzeichen 39 OWi 54 Js 1476/05-688/05) |
AG Bielefeld (Vorlegungsbeschluss vom 19.01.2006; Aktenzeichen 39 OWi 54 Js 1143/05-550/05) |
AG Bielefeld (Vorlegungsbeschluss vom 18.01.2006; Aktenzeichen 39 OWi 34 Js 2257/04-403/04) |
AG Bielefeld (Vorlegungsbeschluss vom 17.01.2006; Aktenzeichen 39 OWi 34 Js 2206/05-970/05) |
AG Bielefeld (Vorlegungsbeschluss vom 16.01.2006; Aktenzeichen 39 OWi 53 Js 2651/04-52/05) |
AG Bielefeld (Vorlegungsbeschluss vom 09.01.2006; Aktenzeichen 39 OWi 63 Js 2694/05-1156/05) |
Tenor
Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Vorlagen sind unzulässig.
Tatbestand
A.
Im Mittelpunkt der Vorlage steht die Frage, ob die im Zuge einer Organisationsmaßnahme erfolgte Zusammenlegung von Hauptzollämtern einen Eingriff in die Gewährleistung des gesetzlichen Richters bedeutet.
I.
1. Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten enthält zur sachlichen Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde in seinem § 36 Abs. 1 Nr. 1 folgende Regelung:
Sachlich zuständig ist
- die Verwaltungsbehörde, die durch Gesetz bestimmt wird,
- …
In § 37 Abs. 1 OWiG ist geregelt:
Örtlich zuständig ist die Verwaltungsbehörde, in deren Bezirk
- die Ordnungswidrigkeit begangen oder entdeckt worden ist oder
- der Betroffene zur Zeit der Einleitung des Bußgeldverfahrens seinen Wohnsitz hat.
In Bezug auf die gerichtliche Zuständigkeit bestimmt § 68 Abs. 1 OWiG:
Bei einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid entscheidet das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Verwaltungsbehörde ihren Sitz hat. Der Richter beim Amtsgericht entscheidet allein.
2. § 405 Abs. 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung lautete:
Verwaltungsbehörden im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind die Hauptstelle der Bundesanstalt, die Landesarbeitsämter und die Arbeitsämter jeweils für ihren Geschäftsbereich sowie die Behörden der Zollverwaltung für Ordnungswidrigkeiten nach § 404 Abs. 2 Nr. 17 und 18. Die Bundesanstalt führt bei der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Bereich des § 404 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 bis 5, 17 bis 26 und des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 2 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes die Bezeichnung „Arbeitsmarktinspektion für die Bekämpfung illegaler Beschäftigung (Arbeitsmarktinspektion)”.
Durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 (BGBl I S. 2848) erhielt § 405 Abs. 1 SGB III ab dem 1. Januar 2004 folgende Fassung:
Verwaltungsbehörden im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind die Bundesagentur für Ordnungswidrigkeiten nach § 404 Abs. 2 Nr. 1, 2, 5, 6 bis 16, 19 bis 26 sowie die Behörden der Zollverwaltung für Ordnungswidrigkeiten nach § 404 Abs. 1 Nr. 2, § 404 Abs. 2 Nr. 3, 4, 17 und 18 und 26 jeweils für ihren Geschäftsbereich.
Mit dem Gesetz zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23. Juli 2004 (BGBl I S. 1842) erhielt § 405 Abs. 1 SGB III zum 1. August 2004 folgende Fassung:
Verwaltungsbehörden im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind in den Fällen
- des § 404 Abs. 1 sowie des § 404 Abs. 2 Nr. 3 und 4 die Behörden der Zollverwaltung,
- des § 404 Abs. 2 Nr. 1, 2, 5 bis 16 und 19 bis 25 die Bundesagentur,
- des § 404 Abs. 2 Nr. 26 die Behörden der Zollverwaltung und die Bundesagentur jeweils für ihren Geschäftsbereich.
3. Nach § 5 Abs. 4 des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen (Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG) sind zur Verfolgung der in § 5 Abs. 1 und 2 AEntG bestimmten Ordnungswidrigkeiten zuständige Verwaltungsbehörden im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG die in § 2 Abs. 1 AEntG genannten Behörden jeweils für ihren Geschäftsbereich. Gemäß § 2 Abs. 1 AEntG sind für die Prüfung der Arbeitsbedingungen nach § 1 AEntG die Behörden der Zollverwaltung zuständig.
4. Das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz – SchwarzArbG) enthält in seinem § 12 Abs. 1 folgende Regelung:
Verwaltungsbehörden im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten sind
- in den Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a bis c und Nr. 2 in Verbindung mit Nr. 1 Buchstabe a bis c die Behörden der Zollverwaltung und die zuständigen Leistungsträger jeweils für ihren Geschäftsbereich,
- in den Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d und e und Nr. 2 in Verbindung mit Nr. 1 Buchstabe d und e die nach Landesrecht zuständige Behörde,
- in den Fällen des § 8 Abs. 2 die Behörden der Zollverwaltung.
5. Nach § 12 Abs. 2 des Gesetzes über die Finanzverwaltung (FVG) sind die Hauptzollämter als örtliche Bundesbehörden für die Verwaltung der Zölle, der bundesgesetzlich geregelten Verbrauchsteuern einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer und der Biersteuer, der Abgaben im Rahmen der Europäischen Gemeinschaften, für die zollamtliche Überwachung des Warenverkehrs über die Grenze, für die Grenzaufsicht und für die ihnen sonst übertragenen Aufgaben zuständig.
Das Bundesministerium der Finanzen bestimmt nach § 12 Abs. 1 FVG den Bezirk und den Sitz der Hauptzollämter, wobei es nach § 12 Abs. 3 FVG durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Zuständigkeit eines Hauptzollamts nach Absatz 2 auf einzelne Aufgaben beschränken oder Zuständigkeiten nach Absatz 2 einem Hauptzollamt für den Bereich mehrerer Hauptzollämter übertragen kann, wenn dadurch der Vollzug der Aufgaben verbessert oder erleichert wird.
Zum 1. Januar 2004 wurden die in Nordrhein-Westfalen bestehenden 19 Hauptzollämter mit insgesamt 33 Außenstellen auf acht Hauptzollämter verringert. Die Hauptzollämter Hamm – mit den selbstständigen Außenstellen Soest, Meschede und Ahlen –, Herford und Paderborn wurden aufgelöst. Für die entsprechenden Bezirke ist nunmehr das Hauptzollamt Bielefeld zuständig.
II.
Das Amtsgericht Bielefeld hat in insgesamt 46 bei ihm anhängigen Ordnungswidrigkeitenverfahren das Verfahren ausgesetzt und die Sachen gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Frage der Vereinbarkeit von § 68 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, § 12 Abs. 1 FVG in Verbindung mit § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I, § 404 Abs. 2 Nr. 26 SGB III und § 405 Abs. 1 Nr. 3 SGB III mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 103 Abs. 1 GG vorgelegt.
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wird dem Betroffenen durch die in Bezug auf die Hauptzollämter in Nordrhein-Westfalen vorgenommene Organisationsmaßnahme sein gesetzlicher Richter entzogen. Es genüge nicht, dass ein Gesetz formal bestimme, welches Gericht zu entscheiden habe. Es müsse auch eine Beziehung zu den tatsächlichen Gegebenheiten vorhanden sein. Die Bestimmung des gesetzlichen Richters sei durch Gesetz so vollständig zu regeln, dass sich die Zuständigkeit des konkreten Gerichts aus dem Sachverhalt, über den es zu befinden gelte, entnehmen lasse. Die Zuständigkeit des Gerichts dürfe nicht von weiteren staatlichen Akten abhängig gemacht werden, so dass nicht das Gesetz, sondern die Exekutive bestimme, welches Gericht im Einzelfall zu entscheiden habe. In § 68 Abs. 1 OWiG werde die Zuständigkeit des Amtsgerichts aber allein von dem (formalen) Sitz der Verwaltungsbehörde abhängig gemacht. Andere Kriterien, die sich aus dem Sachverhalt ergäben, wie Tatort, Wohnort des Betroffenen, örtliche und sachliche Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde seien nicht maßgeblich. Letztendlich entscheide also die Exekutive darüber, wer der gesetzliche Richter sei.
Allein auf Grund eines formalen Organisationsaktes der Exekutive hätten die früheren Hauptzollämter Detmold, Hamm – mit den selbstständigen Außenstellen Soest, Meschede und Ahlen –, Herford und Paderborn ihren Status als rechtlich selbstständige Behörden im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG verloren. In den tatsächlichen Abläufen aber habe sich nichts geändert. Eine zentrale Bußgeldstelle sei im nunmehr auch für diese Bezirke zuständigen Hauptzollamt Bielefeld nicht eingerichtet worden. Vielmehr würden die Bußgeldverfahren – wie bisher – an den einzelnen Standorten der früheren Hauptzollämter bearbeitet. Geändert habe sich lediglich der Name im Briefkopf der Behörde. Dies stelle sich als bloßer Ettikettenschwindel dar. Festzustellen sei damit eine willkürliche Verlegung des Sitzes der Verwaltungsbehörde. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juli 1969 – 2 BvL 2/69 – begründe dies die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter.
Ferner hat das Amtsgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nach § 405 Abs. 1 Nr. 3 SGB III für die Ahndung der dort bezeichneten Ordnungswidrigkeiten die Behörden der Zollverwaltung und die Bundesagentur jeweils für ihren Geschäftsbereich zuständig seien. Wie die Geschäftsbereiche verteilt seien, ergebe sich jedoch nicht aus dem Gesetz selbst, sondern nur aus verwaltungsinternen Anordnungen und Richtlinien, die trotz Anforderung bislang nicht offen gelegt worden seien. Aus der Praxis sei jedoch bekannt, dass die Bundesagentur ein Bußgeldverfahren einleite, wenn sie auf Grund eigener Ermittlungen, divergierender Angaben in einem Folgeantrag oder einer verspäteten Mitteilung der Arbeitsaufnahme selbst Kenntnis von einem Verdacht eines Leistungsmissbrauchs erlange. Folge die Kenntnis aus einem Datenabgleich oder einer Mitteilung eines Sozialversicherungsträgers, werde das Verfahren an das Hauptzollamt abgegeben. Dieses prüfe wiederum, ob die Tat als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden solle. Im ersteren Falle werde die Sache an die Staatsanwaltschaft abgegeben. Das zuständige Gericht stehe somit erst nach einem längeren – im Ergebnis möglicherweise unzutreffenden – Entscheidungsprozess innerhalb der Exekutive fest. Dies könne im Ergebnis dazu führen, dass trotz gleichgelagerter Sachverhalte verschiedene Gerichte zuständig seien.
Darüber hinaus sei die formelhafte Anwendung der § 68 Abs. 1, § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG auch nicht mit Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar. Durch die Verlegung des Sitzes der Verwaltungsbehörde sei das Prozess- und Kostenrisiko für den Betroffenen erheblich gestiegen. Dies gelte vor allem mit Blick auf die nach § 73 Abs. 1 OWiG bestehende Pflicht zum persönlichen Erscheinen zur Hauptverhandlung. Der Betroffene müsse auch bei „Bagatellverstößen” und geringen Geldbußen Rechtsschutz bei einem weit entfernten Gericht suchen. Damit werde es dem Betroffenen derart erschwert, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör wahrzunehmen und durchzusetzen, dass dieses grundrechtsgleiche Recht zu einer „leeren Hülle” werde.
Entscheidungsgründe
B.
Die Vorlagen sind unzulässig.
Dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG genügt ein Vorlagebeschluss nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur, wenn das Gericht die Entscheidungserheblichkeit und seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm näher begründet. Das Gericht muss sich dabei mit der Rechtslage auseinander setzen, die in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Ansichten berücksichtigen und auf unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten der Norm eingehen, soweit diese für deren Verfassungsmäßigkeit von Bedeutung sein können (vgl. BVerfGE 79, 245 ≪249≫; 86, 71 ≪77≫; 97, 49 ≪60≫). Die Darlegungen zur Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm müssen den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab nennen und die für die Überzeugung des Gerichts maßgebenden Erwägungen darstellen, wobei auch eine Auseinandersetzung jedenfalls mit nahe liegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten zu erfolgen hat (vgl. BVerfGE 86, 52 ≪57≫; 86, 71 ≪78≫; 94, 315 ≪325≫). Wird im Vorlagebeschluss in Bezug auf die zur Überprüfung gestellte Norm ein verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab zu Grunde gelegt, der zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in offenkundigem Widerspruch steht, hat das vorlegende Gericht seinen abweichenden Maßstab in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts näher zu begründen (vgl. BVerfGE 80, 182 ≪186≫). Diesen Anforderungen werden die Vorlagebeschlüsse nicht gerecht.
1. Der Hinweis auf den Senatsbeschluss vom 16. Juli 1969 – 2 BvL 2/69 – (BVerfGE 27, 18) vermag die Annahme einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zu tragen.
a) In dieser Entscheidung ist ausgeführt, dass die in § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG getroffene Zuständigkeitsregelung mit Art. 101 Abs. 1 GG vereinbar ist. Die in § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG angeordnete Verknüpfung der gerichtlichen Zuständigkeit mit dem Sitz der am Verfahren beteiligten Behörde ist danach verfassungsrechtlich gerade nicht zu beanstanden (BVerfGE 27, 18 ≪34 ff.≫). Durch diese Verknüpfung wird der Exekutive kein verfassungswidriger Einfluss auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters im Einzelfall eingeräumt. Gerade dies ist der unter dem Gesichtspunkt des gesetzlichen Richters problematische Fall, denn Art. 101 Abs. 1 GG gebietet die abstrakt-generelle Vorausbestimmung der Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Richters (vgl. BVerfGE 19, 52 ≪59 ff.≫; 95, 322 ≪328 f.≫). Der Senatsbeschluss vom 16. Juli 1969 setzt sich daher auch mit der Frage auseinander, ob die Möglichkeit der Exekutive, mit einer Verlegung des Behördensitzes im Einzelfall auf den Gerichtsstand Einfluss zu nehmen, eine reale Gefahr darstellt, die zur Verfassungswidrigkeit von § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG führen kann. Der Zweite Senat hat es im Hinblick auf den mit der Verlegung eines Behördensitzes verbundenen organisatorischen und technischen Aufwand für praktisch ausgeschlossen gehalten, dass die Exekutive im Einzelfall die gerichtliche Zuständigkeit auf diesem Wege in sachwidriger Weise zu beeinflussen versucht (vgl. BVerfGE 27, 18 ≪36≫). Umgekehrt ergibt sich hieraus, dass es der Exekutive sehr wohl möglich ist, Organisationsmaßnahmen zu treffen, die auch zu einer Veränderung der gerichtlichen Zuständigkeit führen, wenn diese nicht aus Anlass eines Einzelfalls erfolgen.
b) Mit Blick auf diesen rechtlichen Ausgangspunkt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, mit dem sich das Amtsgericht auch nach dem Hinweis im Berichterstatterschreiben vom 8. Mai 2006 nicht auseinander setzt, fehlt es nach wie vor an der Darlegung des Einzelfallbezugs der Organisationsmaßnahme.
Die Organisationsmaßnahme ist im zeitlichen Zusammenhang mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 vorgenommen worden. Darin kann ein Anhaltspunkt dafür erblickt werden, dass sie in eine allgemeine Gesetzesreform eingebettet ist und von ihr ein Begleiteffekt im Sinne einer Effizienzsteigerung erwartet wurde. Auf diesen möglichen Zusammenhang wie auch die Frage nach den konkreten Gründen der Organisationsmaßnahme – die möglicherweise sogar bundesweit mit einer Neubestimmung der Bezirke und Sitze der Hauptzollämter einherging – gehen die Vorlagebeschlüsse nicht ein. Das Amtsgericht hat diesbezüglich auf die erteilten Hinweise lediglich ausgeführt, es könne nicht darlegen, aus welchen Gründen die Neubestimmung der Bezirke und Sitze der Hauptzollämter erfolgt sei. Dies ergebe sich nicht aus den Gesetzgebungsmaterialien. Es könne nur vermutet werden, dass es sich um fiskalische Gründe handele. Abgesehen davon, dass offen bleibt, ob das Amtsgericht in diesem Zusammenhang, wie geboten, alle ihm zugänglichen Informationsquellen zu den Gründen der Organisationsmaßnahme ausgeschöpft hat, wäre das in den Raum gestellte fiskalische Motiv gerade ein Moment, das gegen eine willkürliche Sitzverlagerung und einen Eingriff in die Gewährleistung des gesetzlichen Richters spricht.
c) Eine unzureichende Begründung weisen die Vorlagebeschlüsse auch im Zusammenhang mit der Annahme der Verfassungswidrigkeit von § 405 Abs. 1 Nr. 3 SGB III in der Fassung des Gesetzes zur Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und damit zusammenhängender Steuerhinterziehung vom 23. Juli 2004 auf. Es ist zwar zutreffend, dass nach dieser Regelung in den Fällen des § 404 Abs. 2 Nr. 26 SGB III Verwaltungsbehörden im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG sowohl die Behörden der Zollverwaltung wie auch die Bundesagentur jeweils für ihren Geschäftsbereich sind. Der Hinweis des Amtsgerichts auf eine fehlende gesetzliche Bestimmung des Geschäftsbereichs der genannten Behörden bleibt aber ohne Begründung. Hier fehlt es an einer Auslegung der Norm anhand der gängigen Auslegungsmethoden ebenso wie an einer Analyse der einschlägigen Gesetze, die die Aufgaben dieser Behörden umschreiben. So definiert etwa § 368 SGB III die Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit. Ebenso enthält etwa das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung Aufgabenzuweisungen an die Behörden der Zollverwaltung. Ausgehend von den gesetzlichen Aufgabenzuweisungen wäre vom Amtsgericht zu untersuchen gewesen, ob sich hieraus auch für den Fall des § 405 Abs. 1 Nr. 3 SGB III eine hinreichend klare Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Behörden für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach § 404 Abs. 2 Nr. 26 SGB III ergibt. Nichts anderes gilt im Zusammenhang mit der Regelung des § 12 Abs. 1 Nr. 1 SchwarzArbG und der dortigen Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Behörden der Zollverwaltung und den jeweils zuständigen Leistungsträgern.
Soweit das Amtsgericht in einigen Vorlagebeschlüssen in diesem Zusammenhang auch die Regelung des § 405 Abs. 1 Nr. 1 SGB III in die Formulierung der Vorlagefrage aufnimmt, bleibt dies zum einen ohne Begründung. Zum anderen stellt sich hier auch nicht die Frage einer Zuständigkeitsüberschneidung zwischen den Behörden der Zollverwaltung und der Bundesagentur für Arbeit, weil jeweils eine enumerative Zuordnung der zu verfolgenden Ordnungswidrigkeiten erfolgt. Die bis zum 31. Juli 2004 geltende Fassung des § 405 Abs. 1 SGB III enthielt zwar noch den Zusatz „jeweils für ihren Geschäftsbereich”. Dieser sollte aber ebenso wie der entsprechende in § 5 Abs. 4 AEntG enthaltene Zusatz – nach der Verweisung auf § 2 Abs. 1 AEntG sind im Anwendungsbereich des Arbeitnehmerentsendegesetzes ohnehin nur die Behörden der Zollverwaltung zur Verfolgung der dort statuierten Ordnungswidrigkeiten zuständig – lediglich den Geschäftsbereich der einzelnen Behörde der Zollverwaltung kennzeichnen. Vor diesem Hintergrund kann sich bei diesen Regelungen von vornherein keine Unklarheit in der Abgrenzung der Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit und der Behörden der Zollverwaltung ergeben.
2. Soweit in den Vorlagebeschlüssen eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG angenommen wird, geht dies offensichtlich fehl.
Art. 103 Abs. 1 GG sichert den an einem Gerichtsverfahren Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung. Die Auswirkungen der Organisationsmaßnahme auf die gerichtliche Zuständigkeit nehmen den Beschuldigten nicht diese durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Verfahrensrechte.
3. Einschlägig könnte allenfalls die Rechtsschutzgewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG sein. Danach darf der Zugang zu den Gerichten nicht unzumutbar erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 88 ≪91≫; 78, 88 ≪99≫; 96, 27 ≪39≫; 104, 220 ≪231 f.≫). Hier fehlt es in den Vorlagebeschlüssen allerdings sowohl an der Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser verfassungsrechtlichen Garantie wie auch an einer hinreichenden Darlegung und Würdigung insoweit problematischer Fälle. Der pauschale Hinweis auf ein erhebliches Ansteigen des Prozess- und Kostenrisikos genügt nicht. Vielmehr wäre es geboten, dieses in seinen Ursachen und Folgen konkret darzustellen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1543148 |
BFH/NV Beilage 2006, 495 |