Entscheidungsstichwort (Thema)
Prüfungsausschüsse der Industrie- und Handelskammern; überregional erstellte Prüfungsaufgaben. Frage des Rechts des Prüfungsausschusses auf Einsichtnahme in die Prüfungsaufgaben und Beschlußfassung über sie. Verpflichtung des Prüfungsausschusses zur Übernahme überregional erstellter Prüfungsaufgaben. Prüfungsrecht. Abschlussprüfungen nach dem Berufsbildungsgesetz. Verwaltungsprozeßrecht
Leitsatz (amtlich)
Er verstößt nicht gegen Bundesrecht, wenn die Prüfungsordnung einer Industrie- und Handelskammer für die Abschlußprüfung in anerkannten Ausbildungsberufen den Prüfungsausschuß verpflichtet, überregional erstellte oder ausgewählte Prüfungsaufgaben ohne Einsichtnahme und Beschlußfassung zu übernehmen, soweit diese entsprechend § 37 Abs. 2 BBiG von paritätisch zusammengesetzten Gremien erstellt oder ausgewählt worden sind.
Normenkette
BBiG § 34 ff., §§ 58, 75; Prüfungsordndung der Industrie- und Handelskammer Münster § 14; VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 137 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 01.09.1989; Aktenzeichen 15 A 2817/86) |
VG Münster (Entscheidung vom 07.11.1986; Aktenzeichen 1 K 2060/85) |
VG Münster (Entscheidung vom 24.09.1986; Aktenzeichen 1 K 2059/85) |
Tenor
Die Beschwerdeverfahren BVerwG 7 B 172.89 und BVerwG 7 B 176.89 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in den Urteilen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. September 1989 werden zurückgewiesen.
Die Kläger tragen jeweils die Kosten ihres Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Beschwerdeverfahren auf je 6 000 DM festgesetzt.
Entscheidungsgründe
Die Kläger sind Prüfungsausschüsse, die die Industrie- und Handelskammer nach § 36 des Berufsbildungsgesetzes vom 14. August 1969 (BGBl. I S. 1112) – BBiG – errichtet hat (das Gesetz wurde zuletzt geändert durch das Berufsbildungsförderungsgesetz – BerBiFG – vom 23. Dezember 1981, BGBl. I S. 1692). Sie begehren die Feststellung, daß ihnen zur Vorbereitung schriftlicher Abschlußprüfungen die Prüfungsaufgaben zur Einsichtnahme und Beschlußfassung vorgelegt werden müssen. Mit diesem Begehren hatten sie, nachdem den Klagen in der ersten Instanz stattgegeben worden war, in der zweiten Instanz keinen Erfolg.
Auch die Beschwerden, mit denen die Kläger sich gegen die Nichtzulassung der Revision in den Urteilen des Berufungsgerichts wenden, können keinen Erfolg haben. Die allein geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus – und an dieser Voraussetzung fehlt es hier –, daß die Grundsatzfrage, deren Klärung begehrt wird, in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Denn wenn die Frage in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden kann, ist es nicht gerechtfertigt, ihretwegen das Revisionsverfahren zuzulassen.
Die Beschwerde hält die Frage für klärungsbedürftig, wie weit die vom Gesetzgeber im Zuge der Bildungsreform etablierte paritätische Ausgestaltung des Berufsbildungs- bzw. Prüfungswesens geht. In dieser allgemeinen Form stellt sich die Frage im vorliegenden Rechtsstreit jedoch nicht. Entscheidungserheblich ist allein, ob die Prüfungsausschüsse ein Recht auf Einsichtnahme in die Prüfungsaufgaben und auf Beschlußfasssung über diese haben, und zwar – nur hierum geht es im vorliegenden Fall – bei überregional erstellten oder ausgewählten Prüfungsaufgaben. Diese Frage wäre aber in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Das Berufungsgericht hat seine die Frage verneinende Entscheidung nämlich, ohne gegen Bundesrecht zu verstoßen, auf nicht revisibles Recht gestützt. An die Auslegung dieses Rechts durch das Berufungsgericht ist das Revisionsgericht gebunden.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist auf § 14 Abs. 2 der von der Industrie- und Handelskammer zu Münster erlassenen Prüfungsordnung – PrO – für die Durchführung von Abschlußprüfungen in anerkannten Ausbildungsberufen gestützt. Diese Vorschrift lautet:
Der Prüfungsausschuß ist gehalten, überregional erstellte Prüfungsaufgaben zu übernehmen, soweit diese von Gremien erstellt oder ausgewählt worden sind, die im Einvernehmen mit der beteiligten Stelle entsprechend § 37 Abs. 2 BBiG zusammengesetzt worden sind.
Das Berufungsgericht hat diese Vorschrift so ausgelegt, daß sie eine strikte Bindung des Prüfungsausschusses ausdrückt und daß die Verpflichtung des Prüfungsausschusses zur Übernahme der Prüfungsaufgaben keinen Raum für eine Beschlußfassung des Prüfungsausschusses und ein daran anknüpfendes, die Beschlußfassung vorbereitendes Einsichtsrecht läßt. Daß diese Auslegung für das Revisionsgericht maßgeblich ist, folgt aus § 562 ZPO in Verbindung mit § 173 VwGO. Denn die Prüfungsordnung als von der Industrie- und Handelskammer aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Berufsbildungsausschusses gemäß §§ 41 Satz 1, 58 Abs. 2 BBiG gesetztes Recht ist nicht revisibel (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO). Daran ändert der Umstand nichts, daß – wie die Beschwerde vorträgt – gleiche oder ähnliche Regelungen bundesweit gelten, weil die Industrie- und Handelskammern ihre Prüfungsordnungen weitestgehend an die gemäß § 41 Satz 3 BBiG vom Bundesausschuß für Berufsbildung als Richtlinie erlassene Musterprüfungsordnung angelehnt haben.
Eine Bindung des Revisionsgerichts bestünde allerdings nicht, wenn das Berufungsgericht mit seiner Auslegung revisibles Recht verletzt hätte. Das ist jedoch nicht der Fall. Dies läßt sich ohne weiteres, also ohne daß es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, feststellen. Insbesondere verstoßt die Auslegung nicht gegen Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes.
Aus § 36 BBiG ergibt sich, daß den Prüfungsausschüssen die Aufgabe zugewiesen ist, die Abschlußprüfung abzunehmen. Was unter der “Abnahme” der Abschlußprüfung zu verstehen ist, sagt das Gesetz nicht. Das Berufungsgericht vertritt die Auffassung, der Begriff der “Abnahme” besage lediglich, daß, nicht jedoch, in welchem Umfang der Prüfungsausschuß tätig zu werden habe; deshalb könne aus der Bestimmung weder hergeleitet werden, daß der Prüfungsausschuß sich auf die Prüfungsabschnitte der Bewertung der Prüfungsleistungen und der Feststellung der Prüfungsergebnisse beschränken müsse und von der Mitwirkung an der Erstellung der Prüfungsaufgaben ausgeschlossen sei, noch könne aus ihr geschlossen werden, daß der Prüfungsausschuß für alle die Abschlußprüfung betreffenden Angelegenheiten, also auch für die Erstellung der Prüfungsfragen zuständig sei. Das trifft zu.
Das Prüfungswesen ist in den §§ 34 ff. BBiG nur in großen Zügen geregelt. Vorgeschrieben ist, daß die “zuständige Stelle” – das ist hier die Industrie- und Handelskammer (§ 75 BBiG) – Prüfungsausschüsse errichtet (§ 36 BBiG) und nach welchen Regeln sie die Mitglieder beruft (§ 37 BBiG). Hinsichtlich der Tätigkeit der Prüfungsausschüsse beschränkt sich das Gesetz auf wenige Angaben, vor allem über den Vorsitz, die Beschlußfähigkeit und Abstimmung (§ 38 BBiG). Die Einzelheiten des Verfahrens der Prüfungsausschüsse sind den Regelungen der Prüfungsordnung vorbehalten, die die zuständige Stelle aufgrund eines Beschlusses des Berufsbildungsausschusses zu erlassen hat (§§ 41, 58 Abs. 2 Satz 1 BBiG). Dem Gesetz läßt sich nichts dafür entnehmen, daß die Frage, wie weit der Aufgabenbereich der Prüfungsausschüsse bei der “Abnahme” der Prüfung reicht, einer Regelung durch die Prüfungsordnung entzogen sein sollte.
Die Auffassung des Berufungsgerichts entspricht auch der Konzeption des Gesetzes. Die umfassende Verantwortlichkeit für die Abschlußprüfungen liegt bei der “zuständigen Stelle”, die die Prüfungen durchführt, und zuständige Stelle ist hier die Industrie- und Handelskammer, nicht der Prüfungssausschuß. Dies hat der beschließende Senat unter Hinweis darauf, daß das Berufsbildungsgesetz das Prüfungswesen der “zuständigen Stelle” die Hand gegeben und die Aufgaben der Prüfungsausschüsse eng begrenzt hat, bereits in dem Urteil vom 20. Juli 1984 – BVerwG 7 C 28.83 – (BVerwGE 70, 4 ≪6, 7≫) im einzelnen ausgeführt.
Demgemäß hat die “zuständige Stelle” auch die Prüfungsordnung zu erlassen, in der die vom Gesetz nicht vorgegebenen Einzelheiten des Prüfungsverfahrens zu regeln sind, und hierzu gehört nach dem oben Gesagten auch die Festlegung der Aufgaben des Prüfungsausschusses.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß der – im Berufsbildungerecht besonders bedeutsame – Rechtsgedanke der Parität zu kurz komme, wenn die Bestimmung der Prüfungsaufgaben dem gemäß § 37 Abs. 2 BBiG paritätisch besetzten Prüfungsausschuß entzogen sei. Denn § 14 Abs. 2 PrO verpflichtet den Prüfungsausschuß zur Übernahme überregional erstellter Prüfungsaufgaben nur, soweit diese von Gremien erstellt oder ausgewählt worden sind, die eine paritätische Besetzung gemäß § 37 Abs. 2 BBiG aufweisen. Daß diese Gremien auch die Anforderungen des § 37 Abs. 1 BBiG erfüllen müssen, folgt aus dem systematischen Zusammenhang der beiden Absätze dieser Vorschrift und versteht sich im übrigen von selbst. Davon abgesehen wird dem Gesichtspunkt der Parität dadurch Rechnung getragen, daß der Berufsbildungsausschuß, der die Prüfungsordnung zu beschließen hat, paritätisch besetzt ist (§§ 56 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 1 BBiG). Übrigens war auch der Bundesausschuß für Berufsbildung, der die Musterprüfungsordnung erlassen hat, paritätisch besetzt (§ 50 Abs. 1 BBiG), ebenso wie der an seine Stelle getretene Hauptausschuß des Bundesinstituts für Berufsbildung (§§ 8 Abs. 3, 19 Nr. 1 Satz 3 BerBiFG).
Entgegen der Auffassung der Beschwerde verstößt die Auslegung des § 14 Abs. 2 PrO durch das Berufungsgericht auch nicht gegen § 35 BBiG oder gegen § 9 der Lacklaboranten-Ausbildungsverordnung vom 4. Dezember 1986 (BGBl. I S. 2160) bzw. § 8 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Koch/zur Köchin vom 11. Juni 1979 (BGBl. I S. 643). Diese Vorschriften betreffen die Prüfungsgegenstände. Die Beschwerde meint, wenn Prüfungsaufgaben überregional erstellt würden, sei wegen etwaiger regionaler Besonderheiten der Ausbildung eine Kontrolle der Prüfungsaufgaben durch die Prüfungsausschüsse zwingend erforderlich. Aus den bezeichneten Vorschriften läßt sich jedoch nichts herleiten. Die Beschwerde verkennt, daß diese gerade auf der durch die Ausbildungsverordnungen bewirkten Vereinheitlichung der Ausbildung im gesamten Bundesgebiet beruhen und deshalb auf “regionale Besonderheiten” nicht abstellen. Das gilt auch hinsichtlich des Berufsschulunterrichts. Gesetzgeber und Verordnunggeber gehen offensichtlich davon aus, daß trotz aller Besonderheiten der für die Berufsausbildung wesentliche Lehrstoff – hierauf wird in den genannten Vorschriften abgestellt – an allen Berufsschulen vermittelt wird.
Schließlich verstößt die Auslegung des Berufungsgerichts nicht gegen sonstiges Bundesrecht. Den Grundsatz der Chancengleichheit verletzt sie nicht, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Ferner gibt es – auch hierauf hat das Berufungsgericht zu Recht hingewiesen – keinen allgemein anerkannten Grundsatz des Prüfungsrechts, daß einem Prüfungsausschuß außer der Leistungsbewertung auch die Aufgabenerstellung übertragen oder die Mitwirkung hierbei – sei es auch nur kontrollierend – ermöglicht werden muß.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Sendler, Seebass, Dr. Bardenhewer
Fundstellen