Das Tarifeinheitsgesetz betrifft ausschließlich die Ebene der sog. normativen Tarifbindung nach dem TVG. Eine solche ist gegeben, wenn ein Arbeitsverhältnis zwischen einem – z. B. durch Mitgliedschaft im kommunalen Arbeitgeberverband – tarifgebundenen Arbeitgeber und einem in der tarifschließenden Gewerkschaft organisierten Arbeitnehmer besteht.
Keine Auswirkung des Tarifeinheitsgesetzes bei lediglich arbeitsvertraglicher Verweisung auf den Tarifvertrag
Ist ein Arbeitgeber nicht Mitglied im Arbeitgeberverband (z. B. KAV oder TdL), so fehlt eine normative – zwingende und unmittelbare – Bindung an den Tarifvertrag gemäß § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG. Die Tarifanwendung folgt in diesen Fällen allein aus der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme des Tarifvertrags. Dem Tarifeinheitsgesetz kommt hier keine Bedeutung zu. Die im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Tarifregelungen finden weiterhin Anwendung.
Besonderheiten sind zu beachten, wenn bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber die normative Ebene, die durch die Mitgliedschaft in den tarifschließenden Verbänden bestimmt wird, abweicht von der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme eines Tarifvertrages.
Arbeitsvertragliche Vereinbarung neben der tariflichen Ebene beachten
In zahlreichen Arbeitsverträgen mit Ärzten an kommunalen Krankenhäusern oder Universitätskliniken ist vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des TV-Ärzte/VKA bzw. TV-Ärzte (Länder) richtet. Das Gesetz zur Regelung der Tarifeinheit betrifft lediglich die Kollision mehrerer Tarifverträge auf der tarifvertragsrechtlichen Ebene. Neben der tarifvertraglichen Ebene ist jedoch die arbeitsvertragliche Ebene zu beachten.
Widersprechen sich die normative und die arbeitsvertragliche Ebene, gilt Folgendes:
Nach der Normenhierarchie geht der Tarifvertrag als gegenüber dem Arbeitsvertrag höherrangiges, unmittelbar und zwingend geltendes Recht der arbeitsvertraglich abweichenden Regelung vor.
Enthält der Arbeitsvertrag jedoch für den Arbeitnehmer eine günstigere Regelung, so geht diese der tariflichen Regelung vor (§ 4 Abs. 3 TVG). Welche Regelung für den Arbeitnehmer günstiger ist, ist im Wege des sog. Sachgruppenvergleichs zu ermitteln. Unterstellt man, dass der mit dem Marburger Bund geschlossene Ärzte-Tarifvertrag für die Ärzte i. d. R. günstigere Regelungen enthält, so findet auf das Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Verweisung der TV-Ärzte (VKA) bzw. bei den Universitätskliniken der TV-Ärzte (Länder) Anwendung.
Eine Änderungskündigung allein mit Verweis darauf, dass auf der normativen Ebene aufgrund des Tarifeinheitsgesetzes ein anderer als der im Arbeitsvertrag in Bezug genommene Tarifvertrag gilt, dürfte unwirksam sein – selbst wenn es Motiv gewesen sein sollte, in der arbeitsvertraglichen Vereinbarung den auf der normativen Ebene geltenden Tarifvertrag in Bezug zu nehmen.
Geltung des TV-Ärzte/VKA trotz "ver.di-Mehrheit" im Betrieb
In einem kommunalen Krankenhaus (Mitglied im KAV) sind zahlenmäßig mehr Beschäftigte Mitglied in ver.di als Ärzte im Marburger Bund organisiert sind. Im sämtlichen bestehenden Arbeitsverträgen der Ärztinnen und Ärzte ist auf den TV-Ärzte/VKA verwiesen, ohne dass deutlich wird, dass nur wiederholt werden soll, was tarifrechtlich ohnehin gilt.
Angenommen, im Jahr 2016 werden erneut kollidierende Tarifverträge zwischen dem KAV einerseits und der Gewerkschaft ver.di bzw. dem Marburger Bund andererseits abgeschlossen, so dass erstmals das Tarifeinheitsgesetz zur Anwendung kommt, gilt Folgendes:
Ab dem Abschluss des letzten kollidierenden Tarifvertrags gilt zwar auf der tarifvertraglichen Ebene für sämtliche Beschäftigte – auch für die im Marburger Bund organisierten Ärzte – der TVöD-K. Aufgrund der arbeitsvertraglich vereinbarten Verweisung auf den TV-Ärzte/VKA kommt jedoch dieser Tarifvertrag zur Anwendung, solange dieser günstiger ist als der TVöD-K.