EuGH, Urteil vom 11.11.2021, C-214/20
Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG ist dahin auszulegen, dass Bereitschaftszeit, die ein Reserve-Feuerwehrmann in Form von Rufbereitschaft leistet, aber während deren der Arbeitnehmer mit Genehmigung seines Arbeitgebers eine selbstständige berufliche Tätigkeit ausübt, und nur im Fall eines Notrufs innerhalb einer maximalen Frist von 10 Minuten seine Dienstwache erreichen muss, keine "Arbeitszeit" darstellt. Dies gilt zumindest dann, wenn die Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen nicht so erheblich sind, dass die Möglichkeit stark beeinträchtigt wäre, während der Bereitschaftszeit die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen als Feuerwehrmann nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten.
Sachverhalt
Der Kläger ist in Dublin ein in Teilzeit beschäftigter Reserve-Feuerwehrmann. Er steht der Einsatzstelle der Feuerwache nach einem Bereitschaftssystem in Form von Rufbereitschaft zur Verfügung, wonach er verpflichtet ist, an 75 % der 1ätze dieser Feuerwache teilzunehmen. Während seiner Bereitschaftszeiten muss er nicht an einem bestimmten Ort sein, hat aber, wenn er einen Notruf erhält, innerhalb einer maximalen Frist von 10 Minuten an der Feuerwache zu sein. Die Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft umfasst grundsätzlich 7 Tage in der Woche und 24 Stunden am Tag und wird nur durch die im Voraus mitgeteilten Urlaubszeiten und Zeiten der Nichtverfügbarkeit unterbrochen. Da der Kläger daneben eine berufliche Tätigkeit ausüben darf, war er noch selbstständig als Taxifahrer tätig. Der Kläger, der die Auffassung vertritt, dass die Stunden, in denen er für seinen Arbeitgeber in Bereitschaft sei, als Arbeitszeit i. S. d. irischen Gesetzes über die Arbeitszeitgestaltung und der Richtlinie 2003/88/EG einzustufen seien, machte den Anspruch gerichtlich geltend. Er begründete sein Begehren damit, dass er ständig in der Lage sein müsse, einem Notruf schnell Folge zu leisten, was ihn daran hindere, sich frei seinen familiären und sozialen Aktivitäten sowie seiner beruflichen Tätigkeit als Taxifahrer zu widmen. Zudem stelle die Verpflichtung, Bereitschaft von 7 Tagen in der Woche und 24 Stunden am Tag zu erbringen, bei Weigerung der Anerkennung der Bereitschaftszeit als Arbeitszeit, einen Verstoß gegen die Vorschriften über die tägliche Ruhezeit, die wöchentliche Ruhezeit und die wöchentliche Höchstarbeitszeit dar. Das irische Arbeitsgericht setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Die Entscheidung
Der EuGH stellt in seinem Urteilklar, inwieweit Bereitschaftszeiten in Form von Rufbereitschaft als "Arbeitszeit" i. S. d. Richtlinie 2003/88/EG eingestuft werden können.
Es führte hierbei aus, dass unter den Begriff "Arbeitszeit" in Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG sämtliche Bereitschaftszeiten einschließlich Rufbereitschaften fielen, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen von seinem Arbeitgeber nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Deshalb sei vorliegend die dem Kläger eingeräumte Möglichkeit, während seiner Bereitschaftszeiten eine andere berufliche Tätigkeit auszuüben, ein wichtiger Hinweis darauf, dass er aufgrund der Modalitäten der Rufbereitschaft keinen größeren Einschränkungen unterliege, die sich ganz erheblich auf die Gestaltung seiner Zeit auswirkten. Dies sei zumindest dann anzunehmen, wenn die Rechte und Pflichten aus seinem Arbeitsvertrag, den Tarifverträgen und den irischen Rechtsvorschriften so ausgestaltet seien, dass er während eines erheblichen Teils der Bereitschaftszeiten auch tatsächlich eine solche Tätigkeit ausüben könne.
Hierfür spreche im vorliegenden Fall, dass sich der Kläger während seiner Bereitschaftszeiten zu keinem Zeitpunkt an einem bestimmten Ort aufhalten müsse, er nicht verpflichtet sei, an allen von seiner Dienstwache aus durchgeführten 1ätzen teilzunehmen und dass er eine andere berufliche Tätigkeit ausüben dürfe. Dies sei nur dann nicht der Fall, wenn die durchschnittliche Häufigkeit der Notrufe und die durchschnittliche Dauer der 1ätze die tatsächliche Ausübung einer beruflichen Tätigkeit verhindere.
Bei der Bewertung könnten, so der EuGH weiter, rein organisatorische Schwierigkeiten, die sich auch aus den Entscheidungen des betreffenden Arbeitnehmers ergeben, wie etwa die Wahl eines Wohnorts oder von Orten für die Ausübung einer anderen beruflichen Tätigkeit, die mehr oder weniger weit von dem Ort entfernt sind, welcher er als Reserve-Feuerwehrmann innerhalb der festgesetzten Frist erreichbar müsse, nicht berücksichtigt werden.
Anmerkung:
Mit diesen Entscheidungen folgt der EuGH seiner bisherigen Rechtsprechung in Arbeitszeitfragen (s. auch EuGH, Urteil vom 9.3.2021,...