BAG, Urteil v. 27.7.2016, 7 AZR 276/14
Amtl. Leitsatz
1. Die in § 33 Abs. 2 TV-L für den Fall einer vom Rentenversicherungsträger festgestellten vollen Erwerbsminderung auf unbestimmte Dauer geregelte auflösende Bedingung tritt nicht ein, wenn der Arbeitnehmer, dessen vertraglich vereinbarte Arbeitspflicht weniger als 3 Stunden täglich beträgt, seine geschuldete Arbeitsleistung noch erbringen kann und er seine Weiterbeschäftigung – entsprechend den Frist- und Formerfordernissen des § 33 Abs. 3 TV-L – vom Arbeitgeber verlangt hat.
2. Für das Weiterbeschäftigungsverlangen gegenüber dem Arbeitgeber ist die Einhaltung der Textform nach § 126b BGB ausreichend.
Sachverhalt
Die Klägerin war geringfügig Beschäftigte. Von Februar 2011 bis Januar 2013 war sie durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Ihr wurde durch Bescheid der Rentenversicherung, welcher ihr im August 2012 zuging, ab dem 1.3.2011 Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze bewilligt. Aufgrund dessen informierte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 27.11.2012, dieser am 30.11.2012 zugegangen, unter Hinweis auf § 33 TV-L darüber, dass ihr Arbeitsverhältnis am 31.8.2012 geendet habe. Hiergegen erhob die Klägerin Ende November 2012, der Beklagten zugestellt am 3.12., Klage. Sie hat hierbei geltend gemacht, ihr Arbeitsverhältnis habe nicht nach § 33 Abs. 2 TV-L geendet, mit der Begründung, § 33 Abs. 2 TV-L finde auf ihr Arbeitsverhältnis wegen des nur geringen Arbeitsumfangs von 2 Wochenstunden keine Anwendung; denn die Tarifvertragsparteien hätten den Fall, dass der geschuldete Arbeitsumfang tatsächlich unterhalb der für die volle Erwerbsminderung maßgeblichen Schwelle einer möglichen Arbeitsleistung von weniger als 3 Stunden liege, nicht beachtet, sodass diese unbewusste Regelungslücke durch die Nichtanwendung von § 33 Abs. 2 und Abs. 3 TV-L zu schließen sei. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB IV gehe von einer Überforderung erst aus, wenn der Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage sei, mindestens 3 Stunden täglich zu arbeiten.
Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. In seiner Entscheidung stellte das BAG zunächst fest, dass die tarifliche Regelung über die auflösende Bedingung in § 33 Abs. 2 Satz 1 TV-L für den Fall einer vom Rentenversicherungsträger festgestellten vollen Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit grundsätzlich durch einen sachlichen Grund i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG gerechtfertigt sei; denn diese Regelung beruhe auf der Annahme der Tarifvertragsparteien, der Arbeitnehmer werde künftig die arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen nicht mehr erbringen können. Hierdurch solle zunächst der Arbeitnehmer geschützt werden, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage sei, seine bisherige Tätigkeit zu verrichten, sodass bei einer Fortsetzung der Tätigkeit die Gefahr einer weiteren Verschlimmerung des Gesundheitszustands bestehe. Auf der anderen Seite diene die Regelung auch den berechtigten Interessen des Arbeitgebers, sich von einem Arbeitnehmer trennen zu können, der gesundheitlich nicht mehr in der Lage sei, seine nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung zu erbringen.
Allerdings erfordere nach Auffassung des BAG die tarifliche Regelung wegen Art. 12 Abs. 1 GG eine verfassungskonform einschränkende Auslegung für Beschäftigte, deren vertraglich vereinbarte Arbeitspflicht sich auf weniger als 3 Stunden täglich beläuft, die trotz der vom Rentenversicherungsträger festgestellten vollen Erwerbsminderung ihre vertraglich geschuldete Leistung noch erbringen können und die ihre Weiterbeschäftigung vom Arbeitgeber verlangt haben. In diesem Fall habe, so das Gericht, der Arbeitgeber zu prüfen, ob das vom Rentenversicherungsträger festgestellte Leistungsvermögen für eine vertragsgemäße Beschäftigung ausreiche. Nur wenn dies nicht der Fall sei, liege ein sachlicher Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Ausspruch einer Kündigung vor. Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin ihre Weiterbeschäftigung durch Erhebung der Klage rechtzeitig beantragt; denn nach der Rechtsprechung des BAG beginnt die 2-Wochen-Frist des § 33 Abs. 3 TV-L nicht bereits mit dem Zugang des Rentenbescheids bei dem Arbeitnehmer, sondern erst mit dem Zugang der daran anknüpfenden Mitteilung des Arbeitgebers über den Eintritt der auflösenden Bedingung. Des Weiteren hatte die Klägerin ihre Weiterbeschäftigung auch in der nach § 33 Abs. 3 TV-L gebotenen Form geltend gemacht; denn nach Auffassung des Gerichts bedürfe es zur Wahrung nicht der strengen Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB, sondern es sei die Textform nach § 126b BGB ausreichend. Begründet hat das BAG dies mit dem Umstand, dass das Formerfordernis des § 126 Abs. 1 BGB auf Rechtsgeschäfte beschränkt sei, das Weiterbeschäftigungsverlangen nach § 33 Abs. 3 TV-L jedoch keine Willenserklärung, sondern eine einseitige rechtsgeschäftliche Handlung darstelle. Und für die Einhaltung der Textform reiche auch die Zustellung einer nicht unterzeichneten Abschrift der Klageschrift an die Beklagte...