Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersuchen um Vorabentscheidung: Centrale Raad van Beroep. Niederlande. Gleichheit von Männern und Frauen. Soziale Sicherheit. Richtlinie 79/7/EWG. Auslegung des Urteils vom 24. Februar 1994 in der Rechtssache C-343/92 (Roks u. a.). Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit. Persönlicher Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7. Erwerbsbevölkerung im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie. Fall einer Person, die vor dem Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit kein Einkommen aus einer Berufstätigkeit erzielt hat. Richtlinie 79/7. Nationale Rechtsvorschriften, die den Bezug von Leistungen bei Arbeitsunfähigkeit davon abhängig machen, daß im Laufe des Jahres vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ein mit einer Berufstätigkeit in Zusammenhang stehendes Einkommen erzielt wurde. Voraussetzung, von der mehr Frauen als Männer betroffen sind. Objektive Rechtfertigung. Zulässigkeit. Rechtsvorschriften, die ein bislang bestehendes System ablösen, das mehr Empfängern zugute kam. Unbeachtlich
Leitsatz (amtlich)
1. Der Begriff „Erwerbsbevölkerung” im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist sehr weit dahin definiert, daß er alle Arbeitnehmer und Selbständigen einschließlich der Arbeitsuchenden umfasst, so daß eine Person, die während des Jahres vor dem Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit nicht ein gewisses Einkommen aus oder im Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit erzielt hat, nicht zwangsläufig dem persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie entzogen ist.
2. Die Richtlinie 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit lässt die den Mitgliedstaaten durch die Artikel 117 und 118 des Vertrages zuerkannte Zuständigkeit unberührt, ihre Sozialpolitik im Rahmen einer von der Kommission organisierten engen Zusammenarbeit und somit die Art und das Ausmaß der sozialen Schutzmaßnahmen auch im Bereich der sozialen Sicherheit sowie die konkreten Einzelheiten ihrer Durchführung festzulegen, wobei sie über einen weiten Ermessensspielraum verfügen.
Folglich steht Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften nicht entgegen, wonach eine Leistung bei Arbeitsunfähigkeit von der Voraussetzung abhängig ist, daß im Laufe des Jahres vor dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit ein gewisses Einkommen aus oder im Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit erzielt worden ist, auch wenn von dieser Voraussetzung mehr Frauen als Männer betroffen sind. Es entspricht nämlich einem berechtigten sozialpolitischen Ziel, denjenigen ein Mindesteinkommen zu garantieren, die ein Einkommen aus einer solchen Berufstätigkeit erzielt hatten, die sie infolge einer Arbeitsunfähigkeit aufgeben mussten, und die Tatsache, daß dieses Mindesteinkommen von dieser Voraussetzung abhängig gemacht wird, stellt ein Mittel dar, das zur Erreichung dieses Zweckes geeignet ist und vom nationalen Gesetzgeber bei der Ausübung seiner Zuständigkeit vernünftigerweise dafür als erforderlich angesehen werden kann.
Der Umstand, daß ein solches System ein System der reinen Volksversicherung ersetzt und die Zahl der Leistungsempfänger gegenüber dem letztgenannten System verringert, kann seine Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht nicht beeinträchtigen. Da das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat nämlich nicht verwehrt, Maßnahmen zu ergreifen, die bewirken, daß bestimmten Personengruppen Leistungen der sozialen Sicherheit entzogen werden, sofern bei diesen Maßnahmen der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7 beachtet wird, steht es den Mitgliedstaaten auch frei, im Rahmen ihrer Sozialpolitik neue Modalitäten festzulegen, die eine Verringerung der Zahl derjenigen bewirken, die eine Leistung der sozialen Sicherheit erhalten.
Normenkette
Richtlinie 79/7 des Rates Art. 2, 4 Abs. 1
Beteiligte
Bestuur van de Bedrijfsvereniging voor Detailhandel |
Bestuur van de Nieuwe Algemene Bedrijfsvereniging |
Tenor
Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit steht der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften nicht entgegen, wonach eine Leistung bei Arbeitsunfähigkeit von der Voraussetzung abhängig ist, daß im Laufe des Jahres vor dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit ein gewisses Einkommen aus oder im Zusammenhang mit einer Berufstätigkeit erzielt worden ist, auch wenn feststeht, daß von dieser Voraussetzung mehr Frauen als Männer betroffen sind.
Gründe
1 Der Centrale Raad van Beröp hat mit Beschluß vom 7. Oktober 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 17. Oktober 1994, zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Deze...