Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung von Arbeitslosengeld. Ablehnung der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten mit in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten Versicherungs- bzw. Beschäftigungszeiten. Anwendbarkeit des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung durch eine Übertragung der im Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-227/89 aufgestellten Grundsätze auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung anstelle der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Übertragung der Rönfeldt-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auf eine Wanderarbeitnehmerin, die vor dem Wirksamwerden des EG-Vertrags in ihrem Heimatstaat von der Freizügigkeit Gebrauch macht. Berufung einer Wanderarbeitnehmerin auf eine gegenüber der Verordnung Nr. 1408/71 günstigere Rechtslage, welche sich aus einem bilateralen Abkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergibt

 

Normenkette

EGVtr Art. 234; EGV (jetzt Art. 39 EGV) Art. 48; EGV (jetzt Art. 42 EGV) Art. 51; Arbeitslosenversicherungsgesetz (AlVG) (Österreich) § 14 Abs. 5

 

Beteiligte

Kaske

Doris Kaske

Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien

 

Verfahrensgang

VwGH Wien (Österreich)

 

Tenor

1. Die vom Gerichtshof im Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-227/89 (Rönfeldt) aufgestellten Grundsätze, wonach die Vorschriften der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, unangewendet bleiben können und auf den einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmer weiterhin ein bilaterales Abkommen angewandt werden kann, an dessen Stelle diese Verordnung eigentlich getreten ist, gelten auch dann, wenn der betreffende Arbeitnehmer von der Freizügigkeit noch vor Inkrafttreten dieser Verordnung und vor dem Wirksamwerden des Vertrages in seinem Heimatmitgliedstaat Gebrauch gemacht hat.

2. Die Situation des einem Mitgliedstaat angehörenden Arbeitnehmers ist, sofern die Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, aufgrund deren er Anspruch auf das von ihm begehrte Arbeitslosengeld hat, vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 begonnen haben, für die gesamte Zeit, in der er von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, nach den Bestimmungen des bilateralen Abkommens zu beurteilen, wobei sämtliche von ihm zurückgelegten Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind, ohne dass danach unterschieden wird, ob diese Zeiten vor oder nach dem Inkrafttreten des Vertrages und der Verordnung Nr. 1408/71 im Heimatmitgliedstaat des Arbeitnehmers liegen. Macht der Betreffende dagegen nach Erschöpfung aller seiner Rechte aus dem Abkommen erneut von der Freizügigkeit Gebrauch und legt neue Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten zurück, die ausschließlich nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1408/71 liegen, so bestimmt sich seine neue Situation nach dieser Verordnung.

3. Ein nationales Recht darf gegenüber dem Gemeinschaftsrecht günstigere Vorschriften vorsehen, sofern diese die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts wahren. Artikel 48 EG-Vertrag steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, wonach Arbeitnehmer, die sich vor ihrer letzten Beschäftigung im Ausland mindestens 15 Jahre in diesem Mitgliedstaat aufgehalten haben, hinsichtlich der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld eine Sonderstellung haben.

 

Gründe

1.

Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 29. Juni 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Juli 1999, gemäß Artikel 234 EG vier Fragen nach der Möglichkeit, durch eine Übertragung der im Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-227/89 (Rönfeldt, Slg. 1991, I-323) aufgestellten Grundsätze auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland über Arbeitslosenversicherung (im Folgenden: österreichisch-deutsches Abkommen) anstelle der Artikel 3, 6, 67 und 71 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), anzuwenden, und nach der Auslegung der Artikel 48 und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG und 42 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.

Diese Fragen stellen sich in einer Beschwerdesache der Frau Kaske gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien (im Folgenden: Arbeitsmarktservice) vom 28. November 1996, mit dem ihr Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld gemäß § 14 Absatz 5 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (im Folgenden: AlVG) abgelehnt wurde.

Die Gemeinschaftsregelung

3.

Die Verordnung Nr. 1408/71 trat in Bezug auf die Republik Österreich mit dem Beitritt dieses Landes zum Europäischen Wirtschaftsraum am 1. Januar 1...

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