Entscheidungsstichwort (Thema)
Niederlassungsfreiheit. Freier Dienstleistungsverkehr. Auslegung der Art. 43 EG und 49 EG. Glücksspiele. Sammeln von Wetten auf Sportereignisse. Erfordernis einer Konzession. Ausschluss von Wirtschaftsteilnehmern in der Rechtsform bestimmter Kapitalgesellschaften. Erfordernis einer polizeilichen Genehmigung. Strafrechtliche Sanktionen
Beteiligte
Tenor
1. Eine nationale Regelung, die die Ausübung von Tätigkeiten des Sammelns, der Annahme, der Bestellung und der Übertragung von Wetten, insbesondere auf Sportereignisse, ohne eine von dem betreffenden Mitgliedstaat erteilte Konzession oder polizeiliche Genehmigung verbietet, stellt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nach den Art. 43 EG und 49 EG dar.
2. Es ist Sache der vorlegenden Gerichte, zu prüfen, ob die nationale Regelung, soweit sie die Anzahl der im Glücksspielsektor tätigen Wirtschaftsteilnehmer begrenzt, tatsächlich dem Ziel entspricht, der Ausnutzung von Tätigkeiten in diesem Sektor zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen.
3. Die Art. 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die Wirtschaftsteilnehmer mit der Rechtsform von Kapitalgesellschaften, deren Anteile auf reglementierten Märkten gehandelt werden, vom Glücksspielsektor ausschließt und darüber hinaus im Sinne eines solchen Ausschlusses fortwirkt.
4. Die Art. 43 EG und 49 EG sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen, die für Personen wie die Beschuldigten der Ausgangsverfahren eine strafrechtliche Sanktion wegen Sammelns von Wetten ohne die nach dem nationalen Recht erforderliche Konzession oder polizeiliche Genehmigung vorsieht, dann entgegenstehen, wenn sich diese Personen die Konzessionen oder Genehmigungen deshalb nicht beschaffen konnten, weil der betreffende Mitgliedstaat es unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht abgelehnt hatte, sie ihnen zu erteilen.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunale di Larino (Italien) (C-338/04) und vom Tribunale di Teramo (Italien) (C-359/04 und C-360/04) mit Entscheidungen vom 8. und 31. Juli 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 6. und 18. August 2004, in den Strafverfahren gegen
Massimiliano Placanica (C-338/04),
Christian Palazzese (C-359/04),
Angelo Sorricchio (C-360/04)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann, C. W. A. Timmermans, A. Rosas und K. Lenaerts, des Richters J. N. Cunha Rodrigues, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter K. Schiemann (Berichterstatter), G. Arestis, A. Borg Barthet und M. Ilešič,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Herren Placanica und Palazzese, vertreten durch D. Agnello, avvocatessa,
- von Herrn Sorricchio, vertreten durch R. A. Jacchia, A. Terranova, I. Picciano und F. Ferraro, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von A. Cingolo und F. Sclafani, avvocati dello Stato (C-338/04, C-359/04 und C-360/04),
- der belgischen Regierung, zunächst vertreten durch D. Haven, dann durch M. Wimmer als Bevollmächtigte im Beistand von P. Vlaemminck und S. Verhulst, advocaten (C-338/04),
- der deutschen Regierung, vertreten durch C.-D. Quassowski und C. Schulze-Bahr als Bevollmächtigte (C-338/04),
- der spanischen Regierung, vertreten durch F. Díez Moreno als Bevollmächtigten (C-338/04, C-359/04 und C-360/04),
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und C. Bergeot-Nunes als Bevollmächtigte (C-338/04),
- der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi als Bevollmächtigten (C-338/04, C-359/04 und C-360/04),
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. I. Fernandes und A. P. Barros als Bevollmächtigte (C-338/04, C-359/04 und C-360/04) im Beistand von J. L. da Cruz Vilaça, advogado (C-338/04),
- der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte (C-338/04),
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa als Bevollmächtigten (C-338/04, C-359/04 und C-360/04),
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Mai 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 43 EG und 49 EG.
2 Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Strafverfahren gegen die Herren Placanica, Palazzese und Sorricchio wegen Verstoßes gegen die italienischen Rechtsvorschriften über das Sammeln von Wetten. Die Ersuchen stehen in einem rechtlichen und tatsächlichen Rahmen, der demjenigen ähnlich ist, in dem die Urteile vom 21. O...