Entscheidungsstichwort (Thema)
„Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates. Artikel 6 Absätze 1 dritter Gedankenstrich und 2. Zugehörigkeit zum regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats. Strafrechtliche Verurteilung. Freiheitsstrafe. Auswirkung auf das Aufenthaltsrecht”
Beteiligte
Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg |
Tenor
Ein türkischer Staatsangehöriger, der nach Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation, der von dem aufgrund des Abkommens über eine Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei eingesetzten Assoziationsrat erlassen wurde, ein Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis hat, verliert dieses Recht nicht deswegen, weil er während seiner – auch mehrjährigen – Inhaftierung keine Beschäftigung ausübt, wenn seine Abwesenheit vom regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats nur vorübergehend ist.
Die Rechte, die dem Betroffenen durch diese Bestimmung im Bereich der Beschäftigung und entsprechend im Bereich des Aufenthalts eingeräumt werden, können nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gemäß Artikel 14 Absatz 1 dieses Beschlusses oder aufgrund des Umstands beschränkt werden, dass der betreffende türkische Staatsangehörige den Zeitraum überschritten hat, der angemessen ist, um nach seiner Freilassung eine neue Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis zu finden.
Tatbestand
In der Rechtssache C-383/03
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 4. September 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 12. September 2003, in dem Verfahren
Ergül Dogan
gegen
Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter R. Schintgen (Berichterstatter) und P. Kuris,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Dogan, vertreten durch die Rechtsanwälte A. Summer, N. Schertler und N. Stieger,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch A. Tiemann als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Rozet und H. Kreppel als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80). Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits unterzeichnet und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem türkischen Staatsangehörigen Ergül Dogan und der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg wegen eines Verfahrens zum Verbot des Aufenthalts in Österreich.
Rechtlicher Rahmen
3 Artikel 6 Absätze 1 und 2 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:
„(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat
- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;
- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung – vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs – das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaats eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;
- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.
(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Be...