Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Bremen. Deutschland. Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit. Richtlinie 79/7/EWG. Erwerbsbevölkerung. Sozialpolitik. Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7. Erwerbsbevölkerung im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie. Person, die eine in der Betreuung ihres behinderten Ehegatten bestehende unentgeltliche Tätigkeit ausübt, aber weder eine Erwerbstätigkeit aufgegeben noch die Arbeitssuche unterbrochen hat. Ausschluß

 

Leitsatz (amtlich)

Artikel 2 der Richtlinie 79/7 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, in dem der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie unter Bezugnahme auf die Erwerbsbevölkerung festgelegt wird, ist dahin auszulegen, daß er sich nicht auf eine Person erstreckt, die eine in der Betreuung ihres behinderten Ehegatten bestehende unentgeltliche Tätigkeit ausübt, gleichviel welchen Umfang diese Tätigkeit hat und welche Kenntnisse für ihre Ausübung erforderlich sind, wenn die betreffende Person dafür weder eine Erwerbstätigkeit aufgegeben noch die Arbeitssuche unterbrochen hat.

Würde der Begriff der Erwerbsbevölkerung nämlich so ausgelegt, daß ein Familienangehöriger, der für einen anderen Familienangehörigen unentgeltlich tätig ist, deshalb unter diesen Begriff fällt, weil die Tätigkeit gewisse Kenntnisse voraussetzt, von gewisser Art oder gewissem Umfang ist oder von einem Dritten gegen Entgelt erbracht werden müsste, wenn nicht der Familienangehörige sie übernehmen würde, so würde dies zu einer schrankenlosen Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie führen, obwohl er durch Artikel 2 gerade abgegrenzt werden soll.

 

Normenkette

Richtlinie 79/7 des Rates Art. 2

 

Beteiligte

Bruna-Alessandra Züchner

Handelskrankenkasse (Ersatzkasse) Bremen

 

Tenor

Artikel 2 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, daß er sich nicht auf eine Person erstreckt, die eine in der Betreuung ihres behinderten Ehegatten bestehende unentgeltliche Tätigkeit ausübt, gleichviel welchen Umfang diese Tätigkeit hat und welche Kenntnisse für ihre Ausübung erforderlich sind, wenn die betreffende Person dafür weder eine Erwerbstätigkeit aufgegeben noch die Arbeitssuche unterbrochen hat.

 

Gründe

1 Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen hat dem Gerichtshof mit Beschluß vom 14. Februar 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 15. März 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag fünf Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24; im folgenden: Richtlinie) und der für die Amtshaftung geltenden Grundsätze des Gemeinschaftsrechts zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Prozeßkostenhilfeverfahren zwischen Bruna-Alessandra Zuechner (im folgenden: Antragstellerin) und der Krankenkasse ihres Mannes, das auf deren Weigerung zurückgeht, die Antragstellerin für die Behandlungspflege ihres Mannes zu entschädigen.

3 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens geht hervor, daß der Ehemann der Antragstellerin, der zuvor eine Erwerbstätigkeit ausübte, nach einem Unfall querschnittsgelähmt ist. Er bedarf sowohl für die Behandlungspflege als auch für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung im Sinne des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) der Hilfe durch eine dritte Person. Diese Pflege leistet in vollem Umfang seine Frau.

4 Die Krankenkasse des Ehemanns der Antragstellerin gewährt finanzielle Zuwendungen für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung. In bezug auf die Behandlungspflege beruft sie sich dagegen auf § 37 Absatz 3 SGB V, der lautet: Der Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.

5 Die Antragstellerin ist der Ansicht, daß diese Bestimmung in Widerspruch zur Richtlinie stehe. Unter Hinweis auf ihre Mittellosigkeit beantragte sie beim Landgericht Bremen Prozeßkostenhilfe für eine Schadensersatzklage gegen die Krankenkasse. Dieser Antrag wurde durch Beschluß vom 20. Januar 1994 abgelehnt, gegen den die Antragstellerin zum Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen Beschwerde einlegte. In einem ersten Beschluß vom 30. Juni 1994 ließ das Hanseatische Oberlandesgericht offen, ob die Antragstellerin zur „Erwerbsbevölkerung” im Sinne der Richtlinie gehört, und vertrat die Ansicht, daß die Rechtsvorschrift nicht diskriminierend sei. Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung somit keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete, liege eine der Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe nicht vor; das Hanseatische Oberlandesgericht wies ...

Dieser Inhalt ist unter anderem im TVöD Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge