Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersuchen um Vorabentscheidung: Højesteret – Dänemark. Niederlassungsfreiheit – Errichtung einer Zweigniederlassung durch eine Gesellschaft ohne tatsächliche Geschäftstätigkeit – Umgehung des nationalen Rechts – Ablehnung der Eintragung. Freizuegigkeit – Niederlassungsfreiheit – Gesellschaft, die in einem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmässig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet – Errichtung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat – Ablehnung der Eintragung – Unzulässigkeit – Befugnis der Mitgliedstaaten, Maßnahmen gegen Betrügereien zu ergreifen (EG-Vertrag, Artikel 52 und 58)
Leitsatz (amtlich)
Ein Mitgliedstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmässig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet, verstösst gegen die Artikel 52 und 58 des Vertrages, wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet wird, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten und damit das dortige Recht über die Errichtung von Gesellschaften zu umgehen, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals stellt. Das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, folgt nämlich im Binnenmarkt unmittelbar aus der vom Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit, so daß es für sich allein keine mißbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts darstellen kann, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die grösste Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet.
Diese Auslegung schließt jedoch nicht aus, daß die Behörden des betreffenden Mitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen treffen können, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Das gilt sowohl – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet wurde – gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber den Gesellschaftern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten.
Normenkette
EGVtr Art. 52 (jetzt Art. 43 EG), Art. 58 (jetzt Art. 48 EG)
Beteiligte
Erhvervs- og Selskabsstyrelsen |
Tenor
Ein Mitgliedstaat, der die Eintragung der Zweigniederlassung einer Gesellschaft verweigert, die in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, rechtmässig errichtet worden ist, aber keine Geschäftstätigkeit entfaltet, verstösst gegen die Artikel 52 und 58 EG-Vertrag, wenn die Zweigniederlassung es der Gesellschaft ermöglichen soll, ihre gesamte Geschäftstätigkeit in dem Staat auszuüben, in dem diese Zweigniederlassung errichtet wird, ohne dort eine Gesellschaft zu errichten und damit das dortige Recht über die Errichtung von Gesellschaften zu umgehen, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestgesellschaftskapitals stellt. Diese Auslegung schließt jedoch nicht aus, daß die Behörden des betreffenden Mitgliedstaats alle geeigneten Maßnahmen treffen können, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Das gilt sowohl – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit dem Mitgliedstaat, in dem sie errichtet wurde – gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber den Gesellschaftern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten.
Gründe
1 Das Höjesteret hat mit Beschluß vom 3. Juni 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Juni 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 52, 56 und 58 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Centros Ltd (nachstehend: Centros), einer am 18. Mai 1992 in England und Wales eingetragenen „private limited company”, und der dem dänischen Handelsministerium unterstehenden Erhvervs- og Selskabsstyrelse (Zentralverwaltung für Handel und Gesellschaften) wegen deren Weigerungen, eine Zweigniederlassung von Centros in Dänemark einzutragen.
3 Aus den Akten ergibt sich, daß die Centros seit ihrer Errichtung keine Geschäftstätigkeit entfaltet hat. Da das Recht des Vereinigten Königreichs bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung die Einzahlung eines Mindestgesellschaftskapitals nicht vorschreibt, wurde das Gesellschaftskapital der Centros von 100 UKL weder in die Gesellschaft einbezahlt noch zu deren Verwendung individualisiert. Das Kapital zerfällt in zwei Anteile, deren Eigentümer die Eheleute Bryde, in Dänemark ansässige dänische Staatsangehörige, sind. Frau Bryde ist Direktorin der Centros, deren Sitz s...