Entscheidungsstichwort (Thema)
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM KARTELLSENAT DES KAMMERGERICHTS. 1. EWG-GEMEINSCHAFTSRECHTSORDNUNG – EIGENSTÄNDIGKEIT – RANGVERHÄLTNIS ZU DEN NATIONALEN RECHTSORDNUNGEN – VORRANG DER GEMEINSCHAFTSRECHTSNORMEN. 2. POLITIK DER EWG – WETTBEWERBSREGELN – KARTELLE – PARALLELES EINSCHREITEN DER GEMEINSCHAFTS – UND LANDESBEHÖRDEN – ZULÄSSIGKEIT MIT DER EINSCHRÄNKUNG, DASS DAS GEMEINSCHAFTSRECHT BEACHTET WERDEN MUSS – BILLIGKEITSERFORDERNIS IM FALL DER KUMULIERUNG GEMEINSCHAFTSRECHTLICHER UND LANDESRECHTLICHER SANKTIONEN (EWG-VERTRAG, ARTIKEL 85 ABSATZ 1, ARTIKEL 87 ABSATZ 2). 3. EWG-VERTRAG – GRUNDSÄTZE – DISKRIMINIERUNG WEGEN DER STAATSANGEHÖRIGKEIT – VERBOT – AUS UNTERSCHIEDEN ZWISCHEN DEN RECHTSORDNUNGEN DER MITGLIEDSTAATEN FOLGENDE UNGLEICHBEHANDLUNG NICHT VOM VERBOT ERFASST (EWG-VERTRAG, ARTIKEL 7)
Leitsatz (amtlich)
1. DER EWG-VERTRAG HAT EINE EIGENSTÄNDIGE RECHTSORDNUNG GESCHAFFEN, DIE IN DIE RECHTSORDNUNGEN DER MITGLIEDSTAATEN AUFGENOMMEN WORDEN UND VON IHREN GERICHTEN ANZUWENDEN IST. ES WÜRDE DEM WESEN DIESER RECHTSORDNUNG WIDERSPRECHEN, WENN ES DEN MITGLIEDSTAATEN GESTATTET WÄRE, MASSNAHMEN ZU ERGREIFEN ODER AUFRECHTZUERHALTEN, WELCHE DIE PRAKTISCHE WIRKSAMKEIT DES VERTRAGES BEEINTRÄCHTIGEN KÖNNTEN.
DIE GELTUNGSKRAFT DES VERTRAGES UND DER ZU SEINER ANWENDUNG GETROFFENEN MASSNAHMEN DARF NICHT VON STAAT ZU STAAT AUFGRUND NATIONALER RECHTSAKTE VERSCHIEDEN SEIN; ANDERNFALLS WÜRDE DIE WIRKUNG DER GEMEINSCHAFTSRECHTSORDNUNG BEEINTRÄCHTIGT UND DIE VERWIRKLICHUNG DER VERTRAGSZIELE GEFÄHRDET WERDEN. NORMENKONFLIKTE ZWISCHEN GEMEINSCHAFTS – UND INNERSTAATLICHEM KARTELLRECHT SIND DAHER NACH DEM GRUNDSATZ DES VORRANGS DES GEMEINSCHAFTSRECHTS ZU LÖSEN.
2. SOLANGE NICHT EINE NACH ARTIKEL 87 ABSATZ 2 BUCHSTABE E EWGV ERGANGENE VERORDNUNG ETWAS ANDERES BESTIMMT, KÖNNEN DIE STAATLICHEN BEHÖRDEN AUCH DANN NACH STAATLICHEM RECHT GEGEN EIN KARTELL VORGEHEN, WENN BEI DER KOMMISSION EIN VERFAHREN ANHÄNGIG IST, IN DEM DIESES KARTELL AUF SEINE VEREINBARKEIT MIT DEM GEMEINSCHAFTSRECHT GEPRÜFT WIRD. DIESE ANWENDUNG DES NATIONALEN RECHTS DARF JEDOCH DIE UNEINGESCHRÄNKTE UND EINHEITLICHE ANWENDUNG DES GEMEINSCHAFTSRECHTS UND DIE WIRKSAMKEIT DER ZU SEINEM VOLLZUG ERGANGENEN ODER ZU TREFFENDEN MASSNAHMEN NICHT BEEINTRÄCHTIGEN. FÜHRT DIE MÖGLICHKEIT, DASS GLEICHZEITIG ZWEI VERFAHREN BETRIEBEN WERDEN, ZU EINER DOPPELSANKTION, SO GEBIETET EIN ALLGEMEINER BILLIGKEITSGEDANKE, DIE FRÜHERE SANKTIONSENTSCHEIDUNG BEI DER BEMESSUNG DER SPÄTER ZU VERHÄNGENDEN SANKTION ZU BERÜCKSICHTIGEN.
3. ARTIKEL 7 EWGV VERBIETET DEN MITGLIEDSTAATEN, IHR KARTELLRECHT JE NACH DER STAATSANGEHÖRIGKEIT DER BETROFFENEN UNTERSCHIEDLICH ANZUWENDEN. ER ERFASST JEDOCH NICHT UNTERSCHIEDE IN DER BEHANDLUNG UND VERZERRUNGEN, DIE SICH FÜR DIE DEM GEMEINSCHAFTSRECHT UNTERSTEHENDEN PERSONEN UND UNTERNEHMEN AUS UNTERSCHIEDEN ZWISCHEN DEN RECHTSORDNUNGEN DER EINZELNEN MITGLIEDSTAATEN ERGEBEN, SOFERN DIESE RECHTSORDNUNGEN AUF ALLE IHRER HERRSCHAFT UNTERWORFENEN PERSONEN NACH OBJEKTIVEN MERKMALEN UND OHNE RÜCKSICHT AUF DIE STAATSANGEHÖRIGKEIT DER BETROFFENEN ANWENDBAR SIND.
Normenkette
EWGVtr Art. 85 Abs. 1, Art. 87 Abs. 2, Art. 7
Beteiligte
Tenor
1. SOLANGE NICHT EINE GEMÄSS ARTIKEL 87 ABSATZ 2 BUCHSTABE E EWGV ERGANGENE VERORDNUNG ETWAS ANDERES BESTIMMT, KÖNNEN DIE NATIONALEN BEHÖRDEN AUCH DANN NACH STAATLICHEM RECHT GEGEN EIN KARTELL VORGEHEN, WENN BEI DER KOMMISSION EIN VERFAHREN ANHÄNGIG IST, IN DEM DIESES KARTELL AUF SEINE VEREINBARKEIT MIT DEM GEMEINSCHAFTSRECHT GEPRÜFT WIRD. DIESE ANWENDUNG DES NATIONALEN RECHTS DARF JEDOCH DIE UNEINGESCHRÄNKTE UND EINHEITLICHE ANWENDUNG DES GEMEINSCHAFTSRECHTS UND DIE WIRKSAMKEIT DER ZU SEINEM VOLLZUG ERGANGENEN ODER ZU TREFFENDEN MASSNAHMEN NICHT BEEINTRÄCHTIGEN.
2. ARTIKEL 7 EWGV VERBIETET DEN MITGLIEDSTAATEN, IHR KARTELLRECHT JE NACH DER STAATSANGEHÖRIGKEIT DER BETROFFENEN UNTERSCHIEDLICH ANZUWENDEN. ER ERFASST JEDOCH NICHT UNTERSCHIEDE IN DER BEHANDLUNG, DIE SICH AUS DEN ZWISCHEN DEN RECHTSORDNUNGEN DER MITGLIEDSTAATEN BESTEHENDEN UNTERSCHIEDEN ERGEBEN, SOFERN DIESE RECHTSORDNUNGEN AUF ALLE IHRER HERRSCHAFT UNTERWORFENEN PERSONEN NACH OBJEKTIVEN MERKMALEN UND OHNE RÜCKSICHT AUF DIE STAATSANGEHÖRIGKEIT DER BETROFFENEN ANWENDBAR SIND.
Gründe
1 DAS KAMMERGERICHT (KARTELLSENAT) IN BERLIN, EIN FÜR KARTELLSACHEN ZUSTÄNDIGES GERICHT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND, HAT MIT BESCHLUSS VOM 18. JULI 1968, BEIM GERICHTSHOF EINGEGANGEN AM 25. JULI 1968, GEMÄSS ARTIKEL 177 EWGV VIER FRAGEN ZUR AUSLEGUNG DER ARTIKEL 3 BUCHSTABE F, 5, 7 UND 85 EWGV SOWIE DES ARTIKELS 9 DER VERORDNUNG NR. 17 DES RATES VOM 6. FEBRUAR 1962 VORGELEGT.
I – ZUR ERSTEN UND DRITTEN FRAGE
2 DIE ERSTE FRAGE DES VORLEGENDEN GERICHTS GEHT DAHIN, OB ES MIT DEM VERTRAG VEREINBAR IST, DASS DIE STAATLICHEN BEHÖRDEN AUF EINEN SACHVERHALT, DER BEREITS GEGENSTAND EINES VERFAHRENS DER KOMMISSION NACH ARTIKEL 14 DER VERORDNUNG NR. 17 VOM 6. FEBRUAR 1962 IST, DIE VERBOTSVORSCHRIFTEN DES NATIONALEN KARTELLRECHTS ...