Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialpolitik. Artikel 4 und 11 der Richtlinie 94/45/EG. Europäischer Betriebsrat. Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen. Verpflichtung der zentralen Leitung, den Arbeitnehmervertretern bestimmte Informationen zu liefern
Beteiligte
Betriebsrat der Firma ADS Anker GmbH |
Tenor
Die Artikel 4 Absatz 1 und 11 der Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen sind dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten das in ihrem Hoheitsgebiet ansässige Unternehmen, das die zentrale Leitung einer gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe im Sinne der Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe e und 3 Absatz 1 der Richtlinie oder die fingierte zentrale Leitung im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie darstellt, verpflichten müssen, einem in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen anderen Unternehmen derselben Unternehmensgruppe die Auskünfte zu erteilen, die dessen Arbeitnehmervertreter von ihm verlangt haben, wenn dieses andere Unternehmen nicht über diese Auskünfte verfügt und sofern diese zur Aufnahme der Verhandlungen zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrats unerlässlich sind.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Arbeitsgericht Bielefeld (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Betriebsrat der Firma ADS Anker GmbH
gegen
ADS Anker GmbH
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 4 und 11 der Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (ABl. L 254, S. 64)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter C. Gulmann und J.-P. Puissochet und der Richterinnen F. Macken (Berichterstatterin) und N. Colneric,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- des Betriebsrats der Firma ADS Anker GmbH, vertreten durch Rechtsanwältin I. Seefried,
- der ADS Anker GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt U. Simdorn,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. Sack und H. Kreppel als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Betriebsrats der Firma ADS Anker GmbH, der ADS Anker GmbH sowie der Kommission in der Sitzung vom 5. Dezember 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. Februar 2003,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1
Das Arbeitsgericht Bielefeld hat mit Beschluss vom 24. Juli 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 17. September 2001, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 4 und 11 der Richtlinie 94/45/EG des Rates vom 22. September 1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweit operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen (ABl. L 254, S. 64, im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Betriebsrat der Firma ADS Anker GmbH (im Folgenden: Betriebsrat) und der ADS Anker GmbH (im Folgenden: ADS Anker) darüber, dass diese das Ersuchen des Betriebsrats, ihm bestimmte Auskünfte im Hinblick auf die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats zu erteilen, abgelehnt hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Die elfte Begründungserwägung der Richtlinie lautet:
„Es sind geeignete Vorkehrungen zu treffen, damit die Arbeitnehmer gemeinschaftsweit operierender Unternehmen oder Unternehmensgruppen angemessen informiert und konsultiert werden, wenn Entscheidungen, die sich auf sie auswirken, außerhalb des Mitgliedstaats getroffen werden, in dem sie beschäftigt sind.”
4
Nach der zwölften Begründungserwägung der Richtlinie muss, „[u]m zu gewährleisten, dass die Arbeitnehmer von Unternehmen und Unternehmensgruppen, die in mehreren [Mitgliedstaaten] tätig sind, in angemessener Weise unterrichtet und angehört werden, … ein Europäischer Betriebsrat eingerichtet oder müssen andere geeignete Verfahren zur länderübergreifenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer geschaffen werden”.
5
Die dreizehnte Begründungserwägung der Richtlinie lautet:
„Hierzu ist eine Definition des Begriffs ‚herrschendes Unternehmen’ erforderlich, die sich ausschließlich auf diese Richtlinie bezieht und nicht die Definitionen der Begriffe ‚Unternehmensgruppe’ und ‚beherrschender Ein...