Entscheidungsstichwort (Thema)
Familienleistungen. Von einem Mitgliedstaat an minderjährige Kinder als Vorschuss gewährte Unterhaltszahlung. Kind eines Strafgefangenen. Voraussetzungen der Unterhaltsgewährung. Strafgefangener, der zur Verbüßung seiner Strafe in einen anderen Mitgliedstaat überstellt wird. Artikel 12 EG. Artikel 3 und 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71
Beteiligte
Tenor
Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, die darin bestehen, dass sich ein Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 als Strafgefangener in seinen Herkunftsmitgliedstaat überstellen ließ, um dort den Rest seiner Strafe zu verbüßen, sind nach Artikel 13 Absatz 2 dieser Verordnung im Bereich der Familienleistungen die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats anzuwenden. Weder die Bestimmungen der genannten Verordnung, insbesondere ihr Artikel 3, noch Artikel 12 EG stehen den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegen, die in einem solchen Fall die Gewährung von Familienleistungen der im österreichischen Bundesgesetz über die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt von Kindern (Unterhaltsvorschussgesetz) vorgesehenen Art an die Familienangehörigen eines solchen Gemeinschaftsbürgers davon abhängig machen, dass er im Gebiet dieses Mitgliedstaats in Haft bleibt
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 11. Juli 2002, beim Gerichtshof eingegangen am 26. August 2002, in dem Verfahren im Namen des
Nils Laurin Effing
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter A. Rosas, K. Lenaerts, S. von Bahr und K. Schiemann (Berichterstatter),
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung über die Rechtssache zu entscheiden,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und A. Tiemann als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard und H. Kreppel als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 25. Mai 2004,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 12 EG in Verbindung mit Artikel 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 (ABl. L 187, S. 1, im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen des Verfahrens, das im Namen des Minderjährigen Nils Laurin Effing wegen dessen Anspruch auf Fortgewährung von Unterhaltsvorschüssen eingeleitet wurde.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Verordnung Nr. 1408/71
3
Die Verordnung Nr. 1408/71 soll im Rahmen der Freizügigkeit die innerstaatlichen Vorschriften über soziale Sicherheit gemäß den Zielen des Artikels 42 EG koordinieren.
4
Artikel 2 Absatz 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.”
5
Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, der die Gleichbehandlung betrifft, lautet:
„Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen.”
6
Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h dieser Verordnung, der ihren sachlichen Geltungsbereich regelt, sieht vor:
„Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:
…
h)
Familienleistungen.”
7
In Bezug auf die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften heißt es in Artikel 13 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71:
„Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:
- Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Sta...