Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergabe von öffentlichen Bauaufträgen im Anwendungsbereich der Richtlinie 71/305. Kriterien für die Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit. Anforderungen an eine dem Staat zugehörige Einrichtung. Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen
Leitsatz (amtlich)
1.
Eine Einrichtung, deren Zusammensetzung und Aufgaben gesetzlich geregelt sind und die insoweit von der öffentlichen Hand abhängig ist, als diese ihre Mitglieder ernennt, die Beachtung der sich aus ihr Handlungen ergebenden Verpflichtungen gewährleistet und die von ihren vergebenen öffentlichen Aufträge finanziert, ist als dem Staat im Sinne von Art 1 der Richtlinie 71/305 (EWGRL 305/71) zugehörig anzusehen; diese ist daher auf die von der genannten Einrichtung vergebenen öffentlichen Bauaufträge anwendbar.
2.
Bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 71/305 fallen,
2.1
- ist das Kriterium der „für die auszuführenden Arbeiten erforderlichen spezifischen Erfahrung” im Hinblick auf die Prüfung der fachlichen Eignung der Unternehmer im Sinne der Art 20 und 26 der Richtlinie ein zulässiges Kriterium für die Bewertung der technischen Leistungsfähigkeit. Ist ein solches Kriterium in einer staatlichen Rechtsvorschrift vorgesehen, auf die die Bekanntmachung der Ausschreibung verweist, so ist es nach der Richtlinie besonderen Anforderungen betreffend die Veröffentlichung in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen nicht unterworfen;
2.2
- kann das in einer staatlichen Rechtsvorschrift vorgesehene Kriterium des „günstigsten Angebots” mit der Richtlinie vereinbar sein, wenn es das Beurteilungsermessen zum Ausdruck bringt, über das die öffentlichen Auftraggeber verfügen, um nach objektiven Gesichtspunkten das wirtschaftlich vorteilhafteste Angebot zu ermitteln, und somit kein willkürliches Auswahlelement enthält. Aus Art 29 Abs 1 und 2 der Richtlinie geht hervor, daß die öffentlichen Auftraggeber – falls sie bei der Erteilung des Zuschlags nicht ausschließlich das Kriterium des niedrigsten Preises anwenden, sondern sich auf verschiedene Kriterien stützen, um dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen – gehalten sind, diese Kriterien entweder in der Bekanntmachung der Ausschreibung oder in den Verdingungsunterlagen anzugeben;
2.3
- ist die Bedingung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen mit der Richtlinie vereinbar, wenn sie nicht unmittelbar oder mittelbar zu einer Diskriminierung der Bieter aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft führt. Eine solche besondere zusätzliche Bedingung muß in der Bekanntmachung der Ausschreibung angegeben werden.
3.
Der einzelne kann sich vor den staatlichen Gerichten auf die Art 20, 26 und 29 der Richtlinie 71/305 berufen.
Normenkette
RL 71/305 Art. 20, 26, 29 Abs. 1; EWGVtr Art. 5, 189 Abs. 3
Beteiligte
Commissioners of Inland Revenue |
Fundstellen
NJW 1990, 1414 |
EuGHE 1988, 4635 |