Entscheidungsstichwort (Thema)
ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: RAAD VAN STATE – NIEDERLANDE. Vorabentscheidungsverfahren. Zuständigkeit des Gerichtshofes. Handlungen der Organe. Verträge der Gemeinschaft. Assoziierungsabkommen. Beschlüsse des Assoziationsrates. Unmittelbare Wirkung. Voraussetzungen. Beschlüsse über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer. Durch das Assoziierungsabkommen EWG-Türkei geschaffener Assoziationsrat. Völkerrechtliche Verträge. Assoziierungsabkommen EWG-Türkei. Freizuegigkeit. Arbeitnehmer. Zugang türkischer Staatsangehöriger zu einer von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn. oder Gehaltsverhältnis in einem der Mitgliedstaaten. Vorherige Ausübung einer ordnungsgemässen Beschäftigung. Begriff
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmungen, die der durch ein Assoziierungsabkommen zwischen der Gemeinschaft und einem Drittstaat geschaffene Assoziationsrat zur Durchführung dieses Abkommens erlässt, sind ebenso wie das Abkommen selbst von ihrem Inkrafttreten an integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung. Daher hat der Gerichtshof, der gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag für die Entscheidung über das Abkommen als eine Handlung der Organe zuständig ist, auch die Befugnis, über die Auslegung dieser Bestimmungen zu entscheiden; dies trägt dazu bei, die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu sichern.
2. Die Bestimmungen, die ein Assoziationsrat erlässt, der durch ein Assoziierungsabkommen geschaffen worden ist, um die Durchführung dieses Abkommens sicherzustellen, sind ebenso wie die Bestimmungen der von der Gemeinschaft mit Drittländern geschlossenen Abkommen als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn sie im Hinblick auf ihren Wortlaut, Sinn und Zweck sowie unter Berücksichtigung von Wortlaut, Sinn und Zweck des Assoziierungsabkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthalten, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlaß eines weiteren Aktes abhängen. Diese Voraussetzungen werden durch die Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b und 7 des Beschlusses Nr. 2/76 sowie durch die Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich und 13 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt. Diese beiden Beschlüsse wurden von dem durch das Assoziierungsabkommen EWG-Türkei geschaffenen Assoziationsrat erlassen, um die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen, die in Bestimmungen des Abkommens mit Programmcharakter vorgesehen ist. Diese Artikel haben somit in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft unmittelbare Wirkung.
In diesem Zusammenhang spielt die Regelung, wonach gegebenenfalls nationale Durchführungsmaßnahmen getroffen werden können, keine Rolle, da insoweit keine ermessensmässige Entscheidungsbefugnis besteht. Irrelevant ist auch, daß die betreffenden Beschlüsse nicht veröffentlicht wurden, da die fehlende Veröffentlichung nur zur Folge haben kann, daß die Beschlüsse nicht den einzelnen entgegengehalten werden können. Schließlich ist unbeachtlich, daß die Mitgliedstaaten von Schutzklauseln Gebrauch machen können, da diese nur unter bestimmten Umständen anwendbar sind.
3. Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b des Beschlusses Nr. 2/76 und Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80, die beide von dem durch das Assoziierungsabkommen EWG-Türkei geschaffenen Assoziationsrat erlassen wurden, gewähren einem türkischen Arbeitnehmer nach einem bestimmten Zeitraum ordnungsgemässer Beschäftigung in einem Mitgliedstaat dort Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn – oder Gehaltsverhältnis. Die Ordnungsmässigkeit der Beschäftigung im Sinne dieser Bestimmungen setzt allerdings, selbst wenn sie nicht notwendigerweise vom Besitz einer ordnungsgemässen Aufenthaltserlaubnis abhängen sollte, eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt voraus. Der Begriff „ordnungsgemässe Beschäftigung” in diesen Bestimmungen kann daher nicht den Fall eines türkischen Arbeitnehmers erfassen, der eine Beschäftigung ausüben darf, solange die Vollziehung einer Entscheidung ausgesetzt ist, mit der ihm das Aufenthaltsrecht verweigert wurde und gegen die er erfolglos Klage erhoben hat.
Normenkette
EWGVtr Art. 177 Abs. 1 Buchst. b; EWGVtr Art. 228; EWGVtr Art. 238
Beteiligte
Staatssecretaris van Justitie |
Tenor
1) Die Auslegung der Beschlüsse Nrn. 2/76 und 1/80 des durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffenen Assoziationsrates vom 20. Dezember 1976 bzw. 19. September 1980 fällt in den Anwendungsbereich des Artikels 177 EWG-Vertrag.
2) Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b des Beschlusses Nr. 2/76 und/oder Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 sowie Artikel 7 des Beschlusses Nr. 2/76 und/oder Artikel 13 des Beschlusses Nr. 1/80 haben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft unmittelbare Wirkung.
3) Der Begriff „ordnungsgemässe Beschäftigung” in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b des Beschlusses Nr. 2/76 und/oder in Artikel 6 Absatz 1 dritter Gedankenstrich des Beschlusse...