Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern. Unanwendbarkeit aufgrund eines Urteils des Gerichtshofes. Qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht. Antrag auf Neufeststellung einer Altersrente, deren Höhe aufgrund einer Antikumulierungsvorschrift eines Mitgliedstaats beschränkt wurde. Berücksichtigung sämtlicher Versicherungs- oder Wohnzeiten für die Feststellung des Anspruchs auf Leistungen nach der Verordnung (EWG) Nr. 1248/92
Normenkette
EWGV 1408/71; EWGV 1248/92
Beteiligte
Institut national d'assurances sociales pour travailleurs indépendants (Inasti) |
Verfahrensgang
Cour du travail de Mons (Belgien) |
Tenor
1. Für einen Antrag auf Neufeststellung einer Altersrente, deren Höhe aufgrund einer Antikumulierungsvorschrift eines Mitgliedstaats beschränkt wurde, weil ihr Empfänger auch vom zuständigen Träger eines anderen Mitgliedstaats eine solche Rente erhält, gilt Artikel 95a Absätze 4 bis 6 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992, nicht, wenn der Antrag auf Neufeststellung auf andere Bestimmungen als die der Verordnung Nr. 1248/92 gestützt wird.
2. Die Tatsache, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaats Artikel 95a Absätze 4 bis 6 der Verordnung Nr. 1408/71 auf einen Antrag auf Neufeststellung einer Altersrente anwendet und so die Rückwirkung der Neufeststellung zu Lasten des Betroffenen beschränkt, stellt einen qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, wenn die genannte Bestimmung auf den fraglichen Antrag nicht anwendbar ist und wenn sich aus einem Urteil des Gerichtshofes, das vor der Entscheidung des zuständigen Trägers ergangen ist, ergibt, dass dieser Träger eine Antikumulierungsvorschrift des betreffenden Mitgliedstaats falsch angewandt hatte, ohne dass sich dem Urteil entnehmen lässt, dass die Rückwirkung der Neufeststellung beschränkt werden durfte.
Gründe
1.
Die Cour du travail Mons hat mit Urteil vom 20. März 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 29. März 2000, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 95a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 des Rates vom 30. April 1992 (ABl. L 136, S. 7, im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), und nach den Voraussetzungen für die Haftung eines Mitgliedstaats für Schäden, die einem Einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Gervais Larsy und dem Institut national d'assurances sociales pour travailleurs indépendants (Inasti) wegen Schadensersatzes.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 95a der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:
(1)
Die Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 begründet keinen Anspruch für den Zeitraum vor dem 1. Juni 1992.
(2)
Für die Feststellung des Anspruchs auf Leistungen nach der Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 werden sämtliche Versicherungs- oder Wohnzeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vor dem 1. Juni 1992 zurückgelegt worden sind.
(3)
Vorbehaltlich des Absatzes 1 wird ein Leistungsanspruch nach der Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 auch für Ereignisse begründet, die vor dem 1. Juni 1992 liegen.
(4)
Die Ansprüche von Personen, deren Rente vor dem 1. Juni 1992 festgestellt worden ist, können auf Antrag nach Maßgabe der Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 neu festgestellt werden.
(5)
Wird der Antrag nach Absatz 4 innerhalb von zwei Jahren nach dem 1. Juni 1992 gestellt, so werden die Ansprüche aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 1248/92 mit Wirkung von diesem Zeitpunkt an erworben, ohne dass den betreffenden Personen Ausschlussfristen oder Verjährungsfristen eines Mitgliedstaats entgegengehalten werden können.
(6)
Wird der Antrag nach Absatz 4 erst nach Ablauf von zwei Jahren nach dem 1. Juni 1992 gestellt, so werden nicht ausgeschlossene oder nicht verjährte Ansprüche vorbehaltlich etwaiger günstigerer Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats vom Tag der Antragstellung an erworben.
Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorlagefragen
4.
Der Kläger des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Kläger) ist ein belgischer Staatsangehöriger, der in Belgien nahe der französischen Grenze wohnt. Er übte in Belgien und i...