Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersuchen um Vorabentscheidung: Centrale Raad van Beroep. Niederlande. Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Freiwillige Altersversicherung. Hinterbliebener Ehegatte eines Arbeitnehmers. Gemeinschaftsregelung. Persönlicher Geltungsbereich. Familienangehörige eines Arbeitnehmers. Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten. Unerheblich. Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Anwendung der nationalen Rechtsvorschriften. Gleichbehandlung. Familienangehörige des Arbeitnehmers. Diskriminierung des hinterbliebenen Ehegatten auf dem Gebiet der freiwilligen Versicherung. Unzulässigkeit. Auslegung, die nicht herangezogen werden kann, um vor dem 30. April 1996 geregelte Rechtsverhältnisse wieder in Frage zu stellen
Leitsatz (amtlich)
1. Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, der den persönlichen Geltungsbereich der Verordnung festlegt, behandelt zwei deutlich unterschiedene Personengruppen: die Arbeitnehmer auf der einen und deren Familienangehörige und Hinterbliebene auf der anderen Seite. Erstere müssen, um unter die Verordnung zu fallen, Angehörige eines Mitgliedstaats oder in einem Mitgliedstaat ansässige Staatenlose oder Flüchtlinge sein; dagegen hängt die Geltung der Verordnung für Familienangehörige oder Hinterbliebene von Arbeitnehmern, die Gemeinschaftsangehörige sind, nicht von deren Staatsangehörigkeit ab.
Durch diese Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und deren Familienangehörigen oder Hinterbliebenen wird der persönliche Geltungsbereich zahlreicher Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt, von denen einige ausschließlich für Arbeitnehmer gelten. Dies trifft beispielsweise auf die Artikel 67 bis 71 der Verordnung Nr. 1408/71 zu.
So kann sich der Ehegatte eines Arbeitnehmers aus der Gemeinschaft für die Inanspruchnahme der Artikel 67 bis 71 der Verordnung Nr. 1408/71 nicht auf seine Eigenschaft als Familienangehöriger berufen, da diese Bestimmungen in erster Linie nur die Ansprüche auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit koordinieren sollen, welche nach den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten Arbeitnehmern, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, und nicht deren Familienangehörigen gewährt werden. Einen solchen Fall betraf das Urteil vom 23. November 1976 in der Rechtssache 40/76 (Kermaschek).
Hingegen haben nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71, „soweit besondere Bestimmungen … [der] Verordnung nichts anderes vorsehen”, die „Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen” und für die diese Verordnung gilt, Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Anwendung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten, ohne daß hierbei unterschieden wird, ob die betroffene Person Arbeitnehmer oder aber Familienangehöriger oder hinterbliebener Ehegatte eines Arbeitnehmers ist.
Könnte der Ehegatte eines Arbeitnehmers, der mit diesem in einen anderen Mitgliedstaat gezogen ist und mit diesem zusammen oder nach dessen Tod in seinen Heimatstaat zurückkehren will, sich für die Gewährung bestimmter nach den Rechtsvorschriften des letzten Beschäftigungsstaats vorgesehener Leistungen nicht auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen, hätte dies unter diesen Umständen negative Auswirkungen auf die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer, die den Hintergrund für die Gemeinschaftsbestimmungen über die Koordinierung der nationalen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften bildet. Es widerspräche Sinn und Zweck dieser Bestimmungen, dem Ehegatten oder Hinterbliebenen eines Wanderarbeitnehmers für die Festsetzung von Leistungen bei Alter den Schutz durch das Diskriminierungsverbot zu versagen, wenn er auf diese Leistungen bei Gleichbehandlung mit den Inländern Anspruch gehabt hätte, falls er im Aufnahmestaat geblieben wäre.
Ausserdem könnte die Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten, die der Gerichtshof im genannten Urteil Kermaschek vorgenommen hat, zu einer Beeinträchtigung des für die Gemeinschaftsordnung grundlegenden Gebots der einheitlichen Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften führen, da deren Anwendbarkeit auf den einzelnen davon abhinge, ob der Anspruch auf die betreffenden Leistungen nach nationalem Recht je nach den Besonderheiten des einzelstaatlichen Systems der sozialen Sicherheit als eigenes oder abgeleitetes Recht qualifiziert würde.
Daher kann die Tragweite des Gleichheitssatzes nicht nach Maßgabe der von den einzelnen nationalen Systemen der sozialen Sicherheit vorgenommenen Unterscheidung zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich ist und die sich in diesen Systemen zunehmend verwischt, mehr oder weniger restriktiv ausgelegt werden, wenn es darum geht, sie der Familie des Arbeitnehmers zuzubilligen. Vielmehr ist unter Berücksichtigung sowohl des Sinns als auch des Zwecks der Gemeinschaftsregelung auf dem Gebiete der sozialen Sicherheit und der Notwendigkeit, diese einheitlich anzuwenden, davon auszugehen, daß auf die Familienangehörigen ° ab...