Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer. Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat. Ausschluss eines Rentenanspruchs. Regulärer Arbeitsmarkt
Leitsatz (amtlich)
1.
Artikel 6 Absatz 3 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG – Türkei ist so auszulegen, daß er einem Mitgliedstaat nicht den Erlaß einer nationalen Regelung gestattet, durch die ganze Kategorien von türkischen Wanderarbeitnehmern, wie z. B. Spezialitätenköche, von vornherein von der Inanspruchnahme der durch Artikel 6 Absatz 1 erster bis dritter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 verliehenen Rechte ausgeschlossen werden.
2.
Ein türkischer Staatsangehöriger, der in einem Mitgliedstaat ohne Unterbrechung über ein Jahr lang rechtmäßig eine Tätigkeit als Spezialitätenkoch im Dienst ein und desselben Arbeitgebers ausgeübt hat, gehört im Sinne von Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei dem regulären Arbeitsmarkt dieses Staates an und ist dort ordnungsgemäß beschäftigt. Ein solcher türkischer Staatsangehöriger hat somit einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmemitgliedstaat, obwohl er bei der Erteilung der Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse darauf hingewiesen worden ist, daß ihm diese nur für maximal drei Jahre und ausschließlich zum Zweck der Ausübung einer bestimmten Tätigkeit, hier: als Spezialitätenkoch, bei einem namentlich bezeichneten Arbeitgeber erteilt würden.
3.
Artikel 6 Absatz 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG – Türkei ist so auszulegen, daß bei der Berechnung der Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung im Sinne dieser Vorschrift kurze Zeiträume zu berücksichtigen sind, in denen der türkische Arbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis besaß und die nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 6 Absatz 2 dieses Beschlusses fallen, wenn die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats nicht deswegen die Ordnungsmäßigkeit des Aufenthalts des Betroffenen im Inland in Frage gestellt, sondern ihm vielmehr eine neue Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis erteilt haben.
Normenkette
EWGAssRBes 1/80 Art. 6 Abs. 1-3; AAV § 4 Abs. 4
Beteiligte
Verfahrensgang
Gründe
1.
Das Verwaltungsgericht Darmstadt hat mit Beschluß vom 29. Februar 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 26. März 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung des Artikels 6 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im folgenden: Beschluß Nr. 1/80) zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der Assoziationsrat wurde durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei geschaffen, das am 12. September 1963 in Ankara von der Republik Türkei auf der einen und den Mitgliedstaaten der EWG sowie der Gemeinschaft auf der anderen Seite unterzeichnet und durch den Beschluß 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem türkischen Staatsangehörigen Ertanir (im folgenden: Kläger) und dem Land Hessen über dessen Weigerung, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers in Deutschland zu verlängern.
3.
Wie sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt, wurde dem Kläger im April 1991 die Einreise nach Deutschland gestattet, wo er eine vorläufige Aufenthaltsbewilligung mit Wirkung bis 1. August 1991 erhielt, um eine Tätigkeit als Spezialitätenkoch für türkische Küche im Restaurant „Ratskeller” in Weinheim (Deutschland) ausüben zu können. 6. Obwohl der Kläger Inhaber einer Arbeitserlaubnis war, die erst im April 1992 ablief, versagten ihm die zuständigen Behörden die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung, daß Spezialitätenköche, denen die Ausübung einer Tätigkeit in Deutschland gestattet werde, nach § 4 Absatz 4 der Arbeitsaufenthaltsverordnung vom 18. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2994) die Staatsangehörigkeit des Landes besitzen müßten, auf dessen Küche das Restaurant spezialisiert sei, und daß das fragliche Restaurant vorwiegend auf griechische Küche ausgerichtet gewesen sei.
4.
In der Folgezeit erklärten sich die deutschen Behörden dennoch damit einverstanden, daß der Kläger erneut als Spezialitätenkoch in demselben Restaurant beschäftigt wurde. Der Kläger, der in der Zwischenzeit in sein Herkunftsland zurückgekehrt war, reiste daher am 14. April 1992 erneut nach Deutschland ein. Es ist unstreitig, daß er wiederholt darauf hingewiesen worden ist, daß nach der deutschen Regelung die Aufenthaltsdauer von Spezialitätenköchen in Deutschland drei Jahre nicht übersteigen darf.
5.
Der Kläger hielt sich zunächst aufgrund eines für drei Monate geltenden Einreisevisums und dann aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis, die am 13. A...