[1] In Fällen, in denen die rechtzeitige weitere ärztliche Feststellung durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die nicht dem Verantwortungsbereich der Versicherten zuzurechnen sind z.B. einem Verkehrsunfall auf dem Weg zum Arzt[/zur Ärztin] mit nachfolgender Krankenhauseinlieferung, kann die unterbliebene ärztliche Feststellung ausnahmsweise rückwirkend nachgeholt werden, um [korr.] die Anerkennung einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit zu begründen.

[2] Das BSG hat mit Urteil vom 11.5.2017, B 3 KR 22/15 R die bisher anerkannten engen Ausnahmefälle, in denen die ärztliche Feststellung oder die Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch Umstände verhindert oder verzögert worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht [korr.] dem der Versicherten zuzurechnen sind, erweitert. So steht dem Krankengeldanspruch [korr.] der Versicherten eine nachträglich erfolgte ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht entgegen, wenn die Versicherten

  1. alles in ihrer Macht Stehende und ihnen Zumutbare getan haben, um ihre Ansprüche zu wahren, indem sie einen zur Diagnostik und Behandlung befugten Arzt bzw. Ärztin persönlich aufgesucht und ihnen ihre Beschwerden geschildert haben, um

    • die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erreichen, und
    • dies rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen für den Krankengeldanspruch erfolgt ist (siehe 2.2.2.2 "Nahtloser Nachweis der Arbeitsunfähigkeit"),
  2. an der Wahrung der Krankengeldansprüche durch eine (auch nichtmedizinische) Fehlentscheidung von Vertragsärzten[/Vertragsärztinnen] gehindert wurden (z.B. eine irrtümlich nicht erstellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung), und
  3. sie – zusätzlich – ihre Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich, spätestens innerhalb der zeitlichen Grenzen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V, nach Erlangung der Kenntnis von dem Fehler geltend machen (siehe 6.4 "Verspätete Meldung der Arbeitsunfähigkeit").

[3] Unter diesen engen Voraussetzungen kann die ärztliche (auch nicht-medizinische) Fehlbeurteilung nicht den Versicherten zugerechnet werden, und sie können daher ausnahmsweise rückwirkend Krankengeld beanspruchen.

[4] Mit Urteil vom 26.3.2020, [korr.] B 3 KR 9/19 R hat das BSG die vorhergehende Rechtsprechung weiter fortentwickelt und dahingehend konkretisiert, dass es einem "rechtzeitig" erfolgten persönlichen Arzt/Ärztin-Patienten/Patientinnen-Kontakt gleichsteht, wenn die Versicherten alles in ihrer Macht Stehende und ihnen Zumutbare getan haben und rechtzeitig innerhalb der anspruchsbegründenden bzw. -erhaltenden zeitlichen Grenzen versucht haben, eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung des Anspruchs auf Krankengeld zu erhalten, und es zum persönlichen Arzt/Ärztin-Patienten/Patientinnen-Kontakt aus den Vertragsärzten/Vertragsärztinnen und der Krankenkasse zurechenbaren Gründen erst verspätet, aber nach Wegfall dieser Gründe gekommen ist.

[5] Das sei insbesondere in Fällen anzunehmen, in denen die Gründe für das nicht rechtzeitige Zustandekommen einer ärztlichen Folgefeststellung der Arbeitsunfähigkeit in der Sphäre [korr.] der Vertragsärzte/Vertragsärztinnen und nicht in derjenigen der Versicherten liegen. Dies ist typischerweise zu bejahen bei einer auf Wunsch [korr.] der Vertragsärzte/Vertragsärztinnen bzw. ihres von ihnen angeleiteten Praxispersonals erfolgten Verschiebung des vereinbarten rechtzeitigen Arzttermins in der (naheliegenden) Vorstellung, ein späterer Termin sei für den Versicherten leistungsrechtlich unschädlich, weil nach der AUR auch die begrenzte rückwirkende ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit statthaft sei.

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