2.5.1 Beratung
Rz. 6
Stellt die Aufsichtsbehörde einen drohenden oder bereits eingetretenen Rechtsverstoß fest und hat sie sich zum Einschreiten entschlossen, so gilt Abs. 1 Satz 1. Die Beratung ist Ausdruck des Bemühens um partnerschaftliche Kooperation zwischen Selbstverwaltung und Aufsicht (BSG, Urteil v. 11.12.2003, B 1 A 1/02 R, SozR 4-2400 § 89 Nr. 29). Sie stellt keinen belastenden Verwaltungsakt dar und ist deshalb nicht mit der Anfechtungsklage angreifbar.
Die Aufsichtsbehörde ist also gehalten, stufenweise vorzugehen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.
Die Sollvorschrift lässt jedoch Ausnahmen zu. So kann die Aufsichtsbehörde ohne Beratung einen Verpflichtungsbescheid erlassen, wenn das öffentliche Interesse die sofortige Beseitigung des rechtswidrigen Zustandes erfordert. Auf die Beratung kann aber auch dann verzichtet werden, wenn die Umstände des Einzelfalles erkennen lassen, dass die Beratung fruchtlos bleiben wird. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Versicherungsträger zu erkennen gegeben hat, dass er auf keinen Fall freiwillig den Vorstellungen der Aufsicht entsprechen wird.
Der Versicherungsträger, der Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Handelns oder Unterlassens hat, sollte die Aufsichtsbehörde frühzeitig unterrichten, damit sie beratend tätig werden kann.
Zwischen Beratung und Verpflichtungsbescheid muss eine angemessene Frist liegen, in der der Versicherungsträger Gelegenheit hat, die Rechtsverletzung freiwillig zu beheben. Es handelt sich dabei nicht um eine Frist, die die Aufsichtsbehörde setzt. Allerdings ist es zweckmäßig, wenn sie dem Versicherungsträger ihre zeitlichen Vorstellungen mitteilt.
Welche Frist angemessen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Im Regelfall sind 30 Tage angemessen. Bei schweren Rechtsverstößen wird die Frist kürzer als bei leichten Verstößen und bei drohenden großen finanziellen Schäden kürzer als bei bereits eingetretenen kleinen Schäden sein. Eine Frist ist jedenfalls dann nicht angemessen, wenn es dem Versicherungsträger während des Laufs der Frist trotz Anspannung seiner Kräfte objektiv nicht möglich ist, den rechtmäßigen Zustand herzustellen.
2.5.2 Aufsichtsanordnung
Rz. 7
Die Aufsichtsmittel sind in § 89 abschließend geregelt.
Behebt der Versicherungsträger die Rechtsverletzung binnen angemessener Frist nicht freiwillig, so gilt Abs. 1 Satz 2. Der Verwaltungsakt i. S. d. Satzes 2 muss den Willen der Aufsichtsbehörde bestimmt, unzweideutig und vollständig zum Ausdruck bringen. Er muss insbesondere die Rechtsverletzung bezeichnen und bestimmen, zu welchem Handeln der Versicherungsträger verpflichtet werden soll. Aus diesem Grund bedarf der Verpflichtungsbescheid der Schriftform. Bei der Formulierung ist darauf zu achten, dass der Verwaltungsakt vollstreckungsfähig ist. Er ist zu begründen, damit der Versicherungsträger ermessen kann, ob die Klageerhebung Aussicht auf Erfolg hat. Er soll ferner eine Rechtsmittelbelehrung enthalten. Andernfalls wird der Verwaltungsakt erst nach einem Jahr bestandskräftig und kann erst dann zwangsweise vollzogen werden (Abs. 1 Satz 3, §§ 66, 77 SGG).
Der Verpflichtungsbescheid muss dem Versicherungsträger bekannt gemacht werden. Wegen des Laufs der Klagefrist (§ 87 Abs. 1 Satz 1 SGG) muss die Aufsichtsbehörde das Datum der Zustellung nachweisen können.
Rz. 8
Die Verpflichtungserklärung wird mit der Bekanntgabe wirksam, d. h. der Versicherungsträger hat die in dem Verwaltungsakt enthaltenen Gebote und Verbote zu befolgen; er darf dem Verpflichtungsbescheid nicht unter Hinweis auf die angebliche Rechtswidrigkeit der Aufsichtsanordnung zuwiderhandeln.
Rz. 9
Mit der Anfechtungsklage kann der Versicherungsträger die Aufhebung des Verpflichtungsbescheids begehren (§ 54 SGG). Nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG hat die Klage eines Versicherungsträgers gegen die Verpflichtungserklärung der Aufsichtsbehörde aufschiebende Wirkung. Damit entfällt die Gehorsamspflicht. Der Versicherungsträger ist also nach Klageerhebung rechtlich nicht mehr gehindert, seine Vorstellungen zu verwirklichen; es sei denn, die Aufsichtsbehörde hat die sofortige Vollziehung angefordert.
Rz. 10
Die aufschiebende Wirkung der Klage entfällt, wenn die Aufsichtsbehörde die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anordnet (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung ist schriftlich zu begründen . Im Gegenzug hat der Versicherungsträger die Möglichkeit, beim Gericht der Hauptsache die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu beantragen. Der Antrag ist auch schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig (§ 86b Abs. 3 SGG).