Rz. 29
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind ebenfalls erfüllt, wenn der Versicherte zum Zeitpunkt der Reha-Antragstellung vermindert erwerbsfähig ist oder wenn diese verminderte Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit zu erwarten ist.
Der Begriff der Erwerbsfähigkeit wird im Gesetz nicht definiert. In Rechtsprechung, Literatur und Praxis versteht man unter Erwerbsfähigkeit übereinstimmend die Fähigkeit des Versicherten, Erwerbseinkommen zu erzielen – und zwar unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich dem Versicherten nach seinen gesamten Erkenntnissen sowie körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten (vgl. BSG, Urteil v. 19.7.1963, SozR 2200, § 1246 Nr. 27).
Nach dem Urteil des BSG v. 17.10.2006 (B 5 RJ 15/05 R) ist unter Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können. Nach dem Urteil sind hingegen nicht die Kriterien anwendbar, die für die Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung maßgebend sind. Rehabilitationsleistungen kämen deshalb nicht nur den Versicherten zugute, die einen qualifizierten Beruf ausüben, sondern auch denen, die in der Rentenversicherung keinen sog. Berufsschutz genießen, weil sie ungelernte Tätigkeiten verrichten. Nach dem Urteil ist das Kriterium der rehabilitationsrechtlich relevanten Minderung der Erwerbsfähigkeit – berufsbezogen – grundsätzlich auf Versicherte in ungelernten Tätigkeiten in gleicher Weise anwendbar wie auf Versicherte in qualifizierten Berufen, denn typische Anforderungsprofile können nicht nur die Ausübung qualifizierter (Ausbildungs-) Berufe, sondern auch die Verrichtung ungelernter Tätigkeiten prägen. Letztere haben regelmäßig ebenfalls – losgelöst von einer konkreten Arbeitsstelle – ein bestimmtes Leistungsprofil und beinhalten damit typische, vom Versicherten zu bewältigende Kernaufgaben und Verrichtungsmerkmale, die sich zwar nicht auf bestimmte Ausbildungsinhalte beziehen, aber durch die konkrete Tätigkeit vorgegeben sind und praktisch erworbene Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse verlangen. Hiervon abzugrenzen sind die spezifischen Belastungen und Anforderungen an einem konkreten Arbeitsplatz, die nicht berufstypisch sind und daher unberücksichtigt bleiben müssen. Ist also der Versicherte nur in seiner beruflichen Leistungseinschränkung deshalb beeinträchtigt, weil er statt der berufstypischen 30 kg Gewicht Gegenstände mit einem Gewicht von mehr als 50 kg nicht mehr tragen kann, ist er noch nicht erwerbsgemindert.
Unter verminderter Erwerbsfähigkeit verbirgt sich also eine infolge gesundheitlicher Beeinträchtigungen erhebliche und länger andauernde Einschränkung der Leistungsfähigkeit
- im berufstypischen oder
- – bei ungelernten Tätigkeiten – im dem jeweiligen Tätigkeitsfeld entsprechenden berufstypischen
Erwerbsleben. Leistungen zur Teilhabe können deshalb nicht mit der Begründung verweigert werden, die Erwerbsfähigkeit sei zwar für die bisherige Tätigkeit, nicht aber für Verweisungstätigkeiten i. S. d. § 240 Abs. 2 gefährdet oder eingeschränkt (BSG, Urteil v. 11.5.2011, B 5 R 54/10 R).
Nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 sind die zeitlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht nur erfüllt, wenn die Erwerbsminderung im medizinischen Sinne bereits eingetreten ist, sondern auch dann, wenn der Eintritt der Erwerbsminderung in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Letzteres ist der Fall, wenn die Erwerbsminderung nach ärztlicher Erkenntnis voraussichtlich in absehbarer Zeit – dies ist in Anlehnung an § 102 Abs. 2 Satz 2 ein Zeitraum von bis zu 3 Jahren – erwartet wird (vgl. auch Rechtsprechung zum vergleichbaren damaligen RVO-Recht: BSG, Urteil v. 18.7.1996, 4 RA 33/94, BSGE 53 S. 100 = SozR 2200, § 1276 Nr. 6).
Rz. 30
Damit die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für medizinische Leistungen zur Rehabilitation erfüllt sind, fordert § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 zusätzlich, dass der zu Betreuende zumindest die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (vgl. § 50) erfüllt. Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit den unter Rz. 14 ff. aufgeführten Beitrags- und Ersatzzeiten angerechnet.
Rz. 31
Durch § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ist u. a. der große Personenkreis der Hausfrauen rehabilitationsberechtigt, der bis zur Heirat bzw. bis zur Geburt des 1. Kindes versicherungspflichtig beschäftigt war und seitdem keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung/Tätigkeit mehr nachgeht. Diese Hausfrauen können als Wartezeit oft weder 6 Pflichtbeitragsmonate innerhalb der letzten 2 Jahre vor der Antragstellung (Rz. 22 ff.) noch insgesamt 180 Kalendermonate (Rz. 14 ff.) nachweisen.
Die Alternative der Wartezeit von 5 Jahren gibt den Rentenversicherungsträgern die Chance, bei diesem Personenkreis die bereits eingetretene bzw. in längstens 3 Jahren zu erwartende Minderung der Erwerbsfähigkeit durch eine medizinische Rehabilitationsleistung zu be...