2.1 Grundregel
Rz. 3
Das SGB VI ist vom Grundsatz her vom Zeitpunkt seines Inkrafttretens (1.1.1992) auf alle Sachverhalte anzuwenden, soweit das Gesetz nichts anderes regelt (Abs. 5). Damit vollzieht der Gesetzgeber einen Wechsel vom "Versicherungsfallprinzip" zum "Rentenbeginnsprinzip". Bei Anwendung der Norm ist von dem konkret entstandenen Einzelanspruch und nicht vom abstrakten Stammrecht auszugehen. Betroffen sind Renten aus eigener Versicherung sowie Hinterbliebenenrenten, für die jedoch § 99 zu beachten ist; für Zeitrenten enthält § 101 die wesentliche Bestimmung. Diese Grundregel hat nur Bedeutung für leistungsrechtliche Inhalte (zu Anrechnungszeiten: Hess. LSG, Urteil v. 24.2.2017, L 5 R 173/14). Sie betrifft aber auch Vormerkungsverfahren, die vor Inkrafttreten des neuen Rechts noch nicht abgeschlossen waren. Für Rehabilitations- und Teilhabeleistungen gilt sie nicht; hier ist § 301 anzuwenden. Bei versicherungsrechtlichen Sachverhalten ist jeweils das Recht anzuwenden, das im maßgeblichen Zeitpunkt galt (§§ 229ff.).
2.2 Anwendung alten Rechts
Rz. 4
Abs. 2 stellt eine Ausnahme von der Grundregel des Abs. 1 dar. Für die Anwendung alten Rechts ist entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Rentenantrag gestellt wurde und welcher Rentenbeginn sich daraus ergibt. Wurde der Antrag bis zum 31.3.1992 gestellt und ergab sich ein Rentenbeginn vor dem 1.1.1992, so ist für die Rentenbezugszeiten insgesamt das alte Recht anzuwenden (BSG, Urteil v. 8.9.2005, B 13 RJ 10/04 R). Führt die bis zum 31.12.1991 erfolgte Rentenantragstellung zu einem Rentenbeginn ab 1.1.1992, ist nur das neue Recht anzuwenden. Für Hinterbliebenenrenten gilt nach § 99 Abs. 2 neues Recht auch für Rentenbezugszeiten vor dem 1.1.1992, wenn der Antrag auf eine Hinterbliebenenrente in der Zeit vom 1.4. bis 31.12.1992 gestellt wurde. Eine Besonderheit ergibt sich für den Fall, dass der Versicherte das für die Altersrente maßgebliche Alter im Dezember 1991 erreicht und bis zum 31.3.1992 den Rentenantrag gestellt hat. Obwohl die Rente am 1.1.1992 beginnt, ist noch das bis zum 31.12.1991 geltende Recht anzuwenden (BSG, Urteil v. 23.6.1994, 4 RA 70/93). Dies betrifft aber alleine die Rechtsänderung zum 1.1.1992; für spätere Rechtsänderungen ist das im Zeitpunkt des Rentenbeginns geltende Recht anzuwenden (BSG, Urteil v. 24.2.1999, B 5 RJ 28/98 R). § 300 Abs. 2 gilt nicht nur für Rentenansprüche, sondern auch für Ansprüche auf Zusatzleistungen, die sich aus dem Rentenanspruch ergeben (z. B. Zuschuss zur Krankenversicherung). Ebenfalls anwendbar ist Abs. 2, wenn es um die Rückvergütung von nach dem Tode des Berechtigten erbrachte Leistungen (§ 118 Abs. 4) geht (Hess. LSG, Urteil v. 15.9.2015, L 2 R 104/ 13; BSG, Beschluss v. 25.7.2016, B 13 R 31/15 R).
2.3 Neufeststellungen
Rz. 5
Eine Rente kann gemäß §§ 44, 45, 48 SGB X auf Antrag oder von Amts wegen neu festgestellt werden.
Eine Neufeststellung setzt immer voraus, dass die persönlichen Entgeltpunkte neu zu ermitteln sind, also das Hinzutreten oder die Herausnahme von rentenrechtlich relevanten Zeiten eine Rolle spielt. Dazu zählen die Änderung des Zugangsfaktors (§ 77) sowie der Nachweis, dass ein Entgelt in falscher Höhe berücksichtigt worden ist. Keine Neufeststellungen in diesem Sinne sind z. B.:
- Rentenanpassungen
- Rentenänderungen wegen Veränderungen des Beitragszuschusses zur Kranken- und/oder Pflegeversicherung
- Rentenänderungen wegen Einkommensanrechnung
- Rentenänderungen aufgrund eines Versorgungsausgleichs
- Gewährung oder Wegfall von Beitragszuschüssen zur Krankenversicherung
- Gewährung oder Wegfall von Kinderzuschuss.
Rz. 6
Mit der Neufassung des Abs. 3 ist für den Fall der Neufeststellung vom bisherigen Grundsatz abgewichen worden. Im Gegensatz zum früheren Recht ist bei einer späteren Neufeststellung immer das Recht anzuwenden, das schon im Zeitpunkt der erstmaligen Feststellung der Rente anzuwenden war. Damit wird sichergestellt, dass das Inkrafttreten zwischenzeitlicher Rechtsänderungen die Rentenhöhe nicht beeinflusst, sondern Veränderungen sich genau so auswirken (rentensteigernd oder rentenmindernd), wie dies beim Vorliegen dieser Umstände im Zeitpunkt der Erstfeststellung gewesen wäre. Werden weitere Zeiten anerkannt, führt dies zu entsprechenden weiteren Entgeltpunkten und einer höheren Rente. Werden Zeiten zurückgenommen oder wird etwa der gewöhnliche Aufenthalt in das vertragslose Ausland verlegt, verringert sich die Zahl der Entgeltpunkte auch nur in dem Umfange, der durch die Änderung unmittelbar bewirkt wird; die die Entgeltpunkte negativ beeinflussende Rechtsänderung bleibt jedoch unberücksichtigt. Eine wichtige Ausnahmeregelung zu § 300 Abs. 3 enthält § 309 (vgl. dortige Komm.).
2.4 Beitrittsgebiet
Rz. 7
Abs. 3b ist eine Sonderbestimmung zu § 44 SGB X. Er schließt Neufeststellungen von Renten, die nach den Vorschriften des Beitrittsgebietes festgestellt worden sind, bezüglich Leistungen vor dem 1.1.1992 aus. Soweit eine Neufeststellung eine Rentenerhöhung ergibt, kann diese in Abweichung von der Rückwirkungsregel des § 44 Abs. 4 SGB X (vier Jahre) frühestens am 1....