1.1 Regelungszweck
Rz. 5
§ 43 bildet das Ergebnis seit Jahren bestehender, durch die Verabschiedung des RRG 1999 erstmals konkret umgesetzter, jedoch durch das Gesetz zur Korrektur in der Sozialversicherung und Versicherung der Arbeitnehmerrechte (Korrekturgesetz) v. 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843) zunächst ausgesetzter Bestrebungen zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Wesentliches Ziel dieser Reformbestrebungen war es zunächst, den Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit langfristig zum Wegfall zu bringen, da dieser Anspruch in der Rechtspraxis zunehmend an Bedeutung verloren hatte und die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen für die Sozialleistungsträger und Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit mit unverhältnismäßigem Verwaltungsaufwand verbunden war/ist. Im Übrigen wurde es zunehmend als ungerecht angesehen, dass nach der Rechtsprechung des BSG zum Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit ungelernte Versicherte, die auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sind, im Ergebnis die Rente wegen Berufsunfähigkeit nicht beanspruchen können, obwohl sie an ihrer Finanzierung beteiligt sind (vgl. von der Heide/Stahl/Wollschläger, DRV 1998 S. 10). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber durch Einführung eines Zugangsfaktors (vgl. hierzu auch Rz. 9) auch bei der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (vgl. hierzu unten) der bereits im Zuge des RRG 1992 vom Bundesrat erhobenen Forderung Rechnung getragen, zu verhindern, dass die Anhebung der Altersgrenzen der Altersrenten (vgl. §§ 235 ff.) und damit eventuell verbundene Abschläge durch eine verstärkte Inanspruchnahme der Erwerbsminderungsrenten unterlaufen werden könne. Die ebenfalls langjährig erhobene Forderung, die als Konsequenz der sog. konkreten Betrachtungsweise des BSG (vgl. hierzu Rz. 15) eher verwaschene Grenzziehung zwischen den Risikobereichen der Arbeitslosenversicherung einerseits und der Rentenversicherung andererseits klarer und sachgerechter zu gestalten, hat der Gesetzgeber jedoch nicht konsequent umgesetzt. Abgesehen vom Fortbestand der sog. Arbeitsmarktrente (vgl. hierzu Rz. 15) wird in den Materialien ausdrücklich auf die konkrete Betrachtungsweise des BSG Bezug genommen, die weiterhin zur Ausgestaltung der Versicherungsfälle der teilweisen und vollen Erwerbsminderung herangezogen werden soll (vgl. hierzu Rz. 17 ff.; vgl. insbesondere BSG, Urteile v. 19.10.2011, B 13 R 78/09 R, und v. 11.12.2019, B 13 R 7/18 R).
1.2 Überblick
Rz. 6
Anspruch auf Rente wegen teilweiser (Abs. 1) oder voller (Abs. 2) Erwerbsminderung haben Versicherte, die die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht haben, teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls der Erwerbsminderung über eine Pflichtbeitragszeit von 3 Jahren (36 Monaten) verfügen und die allgemeine Wartezeit (§ 50 Abs. 1, § 51 Abs. 1) zurückgelegt haben.
Rz. 7
Den Renten(Zahlungs-)beginn regelt § 99 Abs. 1 Satz 1, wonach die Erwerbsminderungsrente als Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an zu leisten ist, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird die Rente vom Beginn des Antragsmonats an geleistet.
Liegen alle Anspruchsvoraussetzungen einschließlich des Eintritts des Versicherungsfalls der Erwerbsminderung ab Mai 2020 vor und wurde der Rentenantrag bis spätestens zum 31.8.2020 gestellt, so beginnt die Rente am 1.6.2020. Bei späterer Antragstellung beginnt die Rente mit dem Ersten des Antragsmonats.
Rz. 8
Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird nach § 102 Abs. 2 vom Grundsatz her nur befristet, d. h. als Rente auf Zeit für längstens 3 Jahre nach Rentenbeginn mit einer Höchstbezugsdauer von insgesamt 9 Jahren geleistet. Von der Grundkonzeption des Gesetzes her bildet die Gewährung einer Zeitrente den Regelfall, wobei sog. Arbeitsmarktrenten i. S. d. § 102 Abs. 2 Satz 5 – d. h. Renten, die wegen der Arbeitsmarktlage (also der Arbeitslosigkeit des Versicherten) gewährt werden (vgl. Rz. 15) – stets, d. h. ausnahmslos (bis zur Regelaltersgrenze) auf Zeit zu zahlen sind. Die nicht aufgrund der Arbeitsmarktlage zu leistende Rente wegen voller Erwerbsminderung (die geleistet wird, weil der Versicherte nur noch unter 3 Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen kann – § 43 Abs. 2 – oder weil er zwar noch 6 Stunden täglich oder möglicherweise sogar noch länger, aber nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann – vgl. § 43 Abs. 3 und Rz. 17 ff.) sowie die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung können nur unbefristet gewährt werden, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann (§ 102 Abs. 2 Satz 3). Das BSG (Urteil v. 29.3.2006, B 13 RJ 31/05 R) hat den Begriff der Unwahrscheinlichkeit, der im Hinblick auf die "komplette Umgestaltung" des Gesetzes zur Befris...