Rz. 39
Über den Zugangsfaktor werden die Vorteile einer längeren Bezugsdauer aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme einer möglichen Rente durch das Rentenabschlagsprinzip umgesetzt. Versicherte können ihre Altersrente vorzeitig, d. h. vor der höheren Altersgrenze in Anspruch nehmen, müssen jedoch entsprechende Abschläge i. S. d. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 lit. a in Kauf nehmen; für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0.
Rz. 40
Die Absenkung des Zugangsfaktors stellt sich als verfassungsgemäßer Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rentenanwartschaften dar (BSG, Beschluss v. 26.6.2008, B 13 R 9/08 S, Rz. 20). Die Vermeidung finanzieller Mehrbelastung der Versichertengemeinschaft durch eine längere Bezugsdauer ist ein legitimer Grund für einen Eingriff in bestehende Rentenanwartschaften. Die Absenkung des Zugangsfaktors ist auch ein geeignetes und erforderliches Mittel, die Funktions- und Leistungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern und den veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen (BSG, Beschluss v. 26.6.2008, B 13 R 9/08 S, Rz. 22; vgl. insoweit auch vorgehend die Anfrage des 5a. Senats des BSG im Beschluss v. 29.1.2008, B 5a/5 R 32/07 R; so auch BSG, Beschluss v. 26.6.2008, B 13 R 11/08 S, Rz. 22, auf die Anfrage des 5a. Senats des BSG im Beschluss v. 29.1.2008, B 5a R 88/07 R). Es stellt letztlich eine sachlich ungerechtfertigte Begünstigung der vorzeitigen Altersrentner i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG dar, wenn sie bei gleicher Vorleistung uneingeschränkt für längere Zeiten Früchte zögen (BSG, Urteil v. 9.4.2002, B 4 RA 58/01 R, Rz. 52).
Rz. 41
Der Zugangsfaktor mindert sich nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 in gleichem Maße auch für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 43) und bei Erziehungsrenten (§ 47) und auch nach 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. b für Hinterbliebenenrenten (§§ 46 ff.).
Rz. 42
Für eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 43) oder eine Erziehungsrente (§ 47) ist dabei nach § 77 Abs. 2 Satz 2 für die Bestimmung des Zugangsfaktors die Vollendung des 62. Lebensjahres maßgebend. Diese Regelung stellt eine Begrenzung des Abschlags dar. Die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 2 ist als Berechnungsregel zur Umsetzung der allgemeinen Grundsätze zur Rentenhöhe i. S. d. § 63 Abs. 5 i. V. m. § 64 Nr. 1 zu verstehen. Im Ergebnis ist der Zugangsfaktor bei Inanspruchnahme von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres maximal um den Abschlag 0,108 zu mindern und somit auf mindestens 0,892 festzulegen (BSG, Urteil v. 28.9.2011, B 5 R 18/11 R; vgl. auch Blüggel, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl., Stand: 19.3.2018, § 77 Rz. 34). Da § 77 Abs. 3 Satz 1 anordnet, dass für diejenigen Entgeltpunkte, die bereits Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer früheren Rente waren, der frühere Zugangsfaktor maßgebend bleibt, bleibt der Abschlag einer Rente wegen Erwerbsminderung wirksam auch für eine anschließende – nahtlose – Altersrente. Dies gilt selbst dann, wenn die in Anspruch genommene Altersrente – ohne Vorbezug der Erwerbsminderungsrente – an und für sich abschlagsfrei gewährt würde (vgl. zur Regelung des § 77 Abs. 3 Satz 1, wenn die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über das 60. Lebensjahr hinaus bezogen wird und sich daran nahtlos eine Folgerente anschließt: BSG, Beschluss v. 29.1.2008, B 5a/5 R 32/07 R, Rz. 24; das BSG hatte noch zu § 77 i. d. F. v. 21.7.2004, gültig bis 31.12.2007 entschieden, in dieser Fassung sah § 77 Abs. 2 Satz 2 noch die Vollendung des 60. Lebensjahres – statt heute des 62. Lebensjahres – als maßgeblich an).
Rz. 43
Bei den unterschiedlichen Altersrenten regelt das Gesetz auch unterschiedliche Altersgrenzen, ab denen Rente abschlagsfrei gezahlt wird. Diese Altersgrenze wird i. d. R. als Referenzalter bezeichnet. Dieses Referenzalter ist maßgeblich für die Berechnung des Zugangsfaktors und damit für die Berechnung des etwaigen Abschlags.
Rz. 44
Die Renteneinbußen lassen sich jedoch durch Zahlung von Beiträgen ausgleichen. § 187a Abs. 1 Satz 1 sieht vor, dass Rentenminderungen, die durch die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters entstehen, durch Zahlung von Beiträgen ausgeglichen werden können.
Rz. 45
Mit der stufenweisen Anhebung der Altersgrenzen auf 67 Jahre (vgl. im Einzelnen §§ 35, 36, 37, 235, 236, 236a, 237, 237a) ist zugleich deren Flexibilisierung möglich.