Rz. 10
Im Anwendungsbereich des § 116 macht der Leistungsträger nicht einen ihm selbst entstandenen Schaden, sondern einen Schadensersatzanspruch geltend, der in der Person des Versicherten entstanden und im Wege der "cessio legis" auf den Versicherungsträger übergegangen ist (BVerfG, Beschluss v. 2.5.1967, 1 BvR 578/63; BGH, Beschluss v. 30.3.1953, GSZ 1 bis 3/53). Demnach geht der Schadensersatzanspruch bereits in derselben – juristischen – Sekunde auf den Leistungsträger über, in der das schädigende Ereignis stattfindet. Der Leistungsträger läuft somit keine Gefahr, bei der Aufteilung einer Regressforderung zu spät zu kommen oder ausgeschlossen zu werden.
Voraussetzung des Forderungsübergangs ist aber stets das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses im fraglichen Zeitpunkt. Es muss die Leistungspflicht des Leistungsträgers gegeben sein (BGH, Urteil v. 24.4.2012, VI ZR 329/10 zum Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung 10 Jahre nach dem schädigenden Ereignis). Der Forderungsübergang ist als dem Grunde nach unbedingt und der Höhe nach durch den Umfang des noch ungewissen Schadens und der noch unbestimmten Leistungen aufschiebend bedingt. Es ist im Weiteren unerheblich, dass der Versicherungsträger regelmäßig von dem Schadensfall im Übergangszeitpunkt noch keine Kenntnis hat.
Rz. 11
Diese Grundsätze gelten auch beim Forderungsübergang auf den Sozialhilfeträger. Der Anspruch auf Sozialhilfe ist zwar nur subsidiär und ein Sozialhilfeverhältnis entsteht grundsätzlich erst im Zeitpunkt des Eintritts der Bedürftigkeit. Die ernsthafte Möglichkeit der Leistungserbringung durch den Sozialhilfeträger ist jedoch für den Forderungsübergang nach § 116 ausreichend (BGH, Urteil v. 5.5.2009, VI ZR 208/08). Allein aus der Subsidiarität des Sozialhilfeanspruchs kann nicht gefolgert werden, dass erst bei Eintritt einer konkreten Bedürftigkeit der Forderungsübergang eintritt (BT-Drs. 9/95 S. 41). Eine ernsthafte Möglichkeit der Leistungserbringung kann etwa bei der schweren gesundheitlichen Schädigung eines Kindes und einem geringen Einkommen seiner Eltern oder bei sehr schweren Verletzungen sowie schlechten Vermögensverhältnissen eines nicht sozialversicherten Unfallopfers angenommen werden (Peters-Lange, in: jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, Stand: 12.3.2018, § 116 Rz. 36). Trotz des Forderungsübergangs bleibt der Geschädigte aber zur Einforderung der Schadensersatzleistung berechtigt. Dies ergibt sich aus dem Nachrrang der Sozialhilfe nach § 2 SGB XII. Das Recht zur Einforderung des Schadensersatzes endet jedoch, sobald Sozialleistungen erbracht werden.
Rz. 12
Auch bei dem Forderungsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit und auf die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gilt nichts anderes. Die Ersatzansprüche entstehen nicht erst mit der Erbringung der Leistung durch den jeweiligen Leistungsträger sondern bereits, wenn eine Leistungspflicht ernsthaft in Betracht zu ziehen ist (Schlaeger/Bruno, in: Hauck/Noftz, SGB X, Stand: 8/2018, § 116 Rz. 183). Denn der Gesetzgeber stellt die Bundesagentur für Arbeit und die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende den anderen Sozialversicherungsträgern nach § 116 Abs. 10 gleich. Es ist deshalb sachgerecht, auch beim Forderungsübergang auf die Bundesagentur für Arbeit und den Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende auf den Zeitpunkt des schadensstiftenden Ereignisses abzustellen (Bieresborn, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 116 Rz. 4a; André, BG 1983 S. 716; Küppersbusch, VersR 1983 S. 193).
Rz. 13
Zu differenzieren ist bei der Frage, ob und in welchem Umfang die auf den Versicherungsträger übergehenden Ersatzansprüche des Verletzten durch eine spätere gesetzliche Änderung hinsichtlich des Umfangs der Leistungen des Versicherungsträgers beeinflusst werden. Bei sozialversicherungsrechtlichen gesetzlichen Neuregelungen, die eine Systemänderung darstellen und damit den Leistungsanspruch dem Grunde nach betreffen, kann der erst später neu begründete Anspruch nicht schon im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses übergehen; der Anspruchsübergang erfolgt vielmehr mit Inkrafttreten der Änderung (für den Fall des Auslandsregresses: BGH, Urteil v. 15.7.2008, VI ZR 105/07; Müller, RV aktuell 2009 S. 158). Bei gesetzlichen Regelungen, die lediglich die Höhe der sozialversicherungsrechtlichen Leistungen betreffen (z. B. Rentenerhöhungen), wird die dem Grunde nach bestehende Leistungspflicht des Versicherungsträgers nicht durch die Änderungen der gesetzlichen Vorschriften berührt und entsprechende Schadensersatzansprüche sind bereits im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses übergegangen (BGH, Urteil v. 30.11.1955, VI ZR 211/54).