2.1 Voraussetzungen und Inhalt der Akteneinsicht
Rz. 3
Der Begriff "Akten" ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Er umfasst die Gesamtheit der Schriftstücke, die der Sozialleistungsträger im Original, als Abschrift oder in Ablichtung für das konkrete Verfahren angefertigt oder beigezogen hat, daneben elektronische Dokumente, Tonbänder, Filme, Fotos, Gutachten, Zeugnisse u.Ä., wenn sie sich auf ein bestimmtes Verwaltungsverfahren beziehen. Der Akteneinsicht unterliegen auch die von der Behörde im Wege der Amtshilfe (vgl. §§ 3ff.) beigezogenen Akten anderer Sozialleistungsträger, der Gerichte und sonstiger anderer Stellen. Dabei sind allerdings die Geheimhaltungspflichten zu beachten, soweit sie Vorgänge enthalten, die andere Beteiligte oder Dritte betreffen (vgl. § 35 SGB I i. V. m. §§ 67 bis 78 SGB X).
Gegenstand der Akteneinsicht ist stets die das Verwaltungsverfahren gemäß § 8 betreffende Akte, wobei das Recht des Bürgers sich nicht auf die Einsicht in "seine" Akte beschränkt, wenn für die Entscheidung relevante Unterlagen in anderen Akten abgelegt sind. Für die Behörde ergibt sich die Pflicht zur Konzentration aller relevanten Unterlagen in einem Vorgang oder zur Aufklärung des Einsicht Begehrenden über das Vorliegen weiterer Unterlagen an anderer Stelle (BSG, Urteil v. 20.11.2003, B 13 RJ 41/03R, BSGE 91 S. 283, SozR 4-1500 § 120 Nr. 1). In zeitlicher Hinsicht besteht der Anspruch auf Akteneinsicht nur während eines Verwaltungsverfahrens nach § 8. Außerhalb eines laufenden Verwaltungsverfahrens hat die Behörde grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen über die Akteneinsicht zu entscheiden (BSG Beschluss v. 4.4.2012, B 12 SF 1/10 R, SozR 4-1720 § 17a Nr. 9). Bei einem Überprüfungsverfahren nach § 44 umfasst das Recht auf Akteneinsicht notwendigerweise auch die Akten des zu überprüfenden abgeschlossenen Verfahrens.
Der Akteneinsicht entzogen sind nach Abs. 1 Satz 2 Entscheidungsentwürfe und damit im Zusammenhang stehende Vorbereitungsarbeiten. Diese Regelung dient dazu, nicht abschließend durchgearbeitete Entwürfe als Interna zu behandeln und letztlich unergiebige Streitigkeiten zu vermeiden (BSG, Beschluss v. 30.11.1994, 11 RAr 89/94, SozR 3-1300 § 25 Nr. 3).
Rz. 4
Das Recht auf Akteneinsicht steht dem Beteiligten zu (vgl. näher Rz. 5). Einsicht in die das Verwaltungsverfahren betreffenden Akten nehmen, bedeutet das Durchsehen und Lesen der Akten. Dem Beteiligten ist auch zu gestatten, sich Notizen über das Gelesene zu machen oder einzelne Teile abzuschreiben (vgl. Rz. 11). Ein Recht auf Akteneinsicht besteht nur, soweit die Kenntnis des Akteninhalts zur Geltendmachung oder Verteidigung rechtlicher Interessen des Beteiligten erforderlich ist. Dabei ist der Begriff des rechtlichen Interesses enger zu verstehen als derjenige des berechtigten Interesses. Während das berechtigte Interesse jedes öffentliche oder private schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher und ideeller Art und damit jedes nach vernünftigen Erwägungen durch die Sachlage gerechtfertigte Interesse umfasst, ist ein rechtliches Interesse der Beteiligten gegeben, wenn die Einsichtnahme bezweckt, eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten (BSG, Beschluss v. 30.11.1994, 11 RAr 89/94, SozR 3-1300 § 25 Nr. 3). Die Kenntnis der Akten und damit ihre Einsichtnahme ist dann erforderlich, wenn sie bei normaler Betrachtung nicht überflüssig, sondern zweckdienlich erscheint. Die Tatsache der Beteiligung an dem Verwaltungsverfahren gilt als Indiz dafür, dass ein rechtliches Interesse vorliegt. Ob ein rechtliches Interesse besteht, beurteilt sich nicht nur nach der Rechtsauffassung der Behörde sondern danach, ob aus Sicht eines objektiven vernünftigen Dritten die Akteneinsicht für die Wahrung des rechtlichen Interesses dienlich ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 28.5.2008, L 11 KA 16/08).
Rz. 5
Anspruch auf Akteneinsicht haben nur Beteiligte (§ 12). Diese können sich durch einen Bevollmächtigten (§ 13) vertreten lassen, nicht hingegen durch Beistände im Hinblick auf deren durch § 13 Abs. 4 begrenzte Befugnisse. Rechtsanwälte haben aufgrund ihrer Stellung als Organ der Rechtspflege jedoch kein eigenes Recht auf Akteneinsicht (BVerwG, Beschluss v. 10.2.1981, 7 B 26.81, DVBl 1981 S. 683). Auch bei bestehender Bevollmächtigung kann der Beteiligte daneben stets selbst die Akteneinsicht geltend machen. Dritte am Verwaltungsverfahren nicht beteiligte Personen haben kein Recht auf Akteneinsicht nach § 25. Wenn jemand noch nicht am Verfahren beteiligt, aber davon überzeugt ist, dass der Ausgang des Verwaltungsverfahrens seine rechtlichen Interessen berührt, muss er zunächst einen Antrag auf Hinzuziehung zum Verfahren als Beteiligter stellen. Erst nach der Hinzuziehung ist ein Anspruch auf Akteneinsicht eröffnet.
Der Behörde obliegt keine Verpflichtung, die Beteiligten auf das ihnen zustehende Akteneinsichts-Recht ...