Rz. 11
Die Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalles dient einerseits der Abgrenzung gegenüber Rechtsetzungsakten (durch Gesetze, Verordnungen, Satzungen), die sich, außer durch die Form des Zustandekommens und die dafür zuständigen Institutionen, von VA durch ihre generelle und abstrakte Regelung unterscheiden. Mangels gesetzlicher Klarstellung, ob, worüber und in welchen Fällen überhaupt durch VA zu entscheiden ist oder entschieden werden kann, kann auch ein Rechtsetzungsakt selbst unmittelbar Rechtswirkungen haben, z. B. bei Neuregelungen und Änderungen der Pflichtversicherungstatbestände, die kraft Gesetzes entstehen oder wegfallen (vgl. z. B. Komm. zu § 5 SGB V, §§ 1 bis 4 SGB VI). Das Merkmal der Regelung eines Einzelfalles fehlt solchen Verlautbarungen einer Behörde. Der Regelungswille, der für das Vorliegen eines Verwaltungsaktes unabdingbar ist, fehlt sowohl bei Realakten als auch beim schlichten Verwaltungshandeln. Die Regelung eines Einzelfalles ist auch dann anzunehmen, wenn der Verfügungssatz in der Form einer Bitte abgefasst ist.
Rz. 12
Abzugrenzen ist die Regelung durch VA von so genanntem schlichten Verwaltungshandeln, das keinen VA darstellt, weil davon nicht nur die Frage der Rechtsbehelfe, (weiteren) Bestandskraft und der notwendigen förmlichen Aufhebung nach §§ 44ff. abhängt, sondern dies auch für die rückwirkende Aufhebung und eine Rückforderung von Leistungen von Bedeutung ist. Wegen der Formfreiheit von VA ist die Abgrenzung zu schlichtem Verwaltungshandeln seit jeher umstritten, z. B. hinsichtlich der Frage der schlichten Krankengeldauszahlung als Schalterakt bei Vorlage des "Zahlscheins". Weiter reichende Folgen i. S. einer Interpretation als VA mit Dauerwirkung können wohl nur dadurch verhindert werden, dass zugleich oder zeitnah ein förmlicher Bescheid über die Bewilligung von Krankengeld für die Vergangenheit erlassen wird.
Rz. 13
In einer Erfüllungshandlung ist im Wege der Auslegung aus der Sicht des Betroffenen zugleich ein VA (als denkbare mögliche oder notwendige vorherige Entscheidung) zu sehen, der zugleich mit der Erfüllung bekannt gegeben wird (so z. B. BSG, Urteil v. 29.10.1992, 10 RKg 4/92, zur Auszahlung von Kindergeld). Dies erscheint insoweit problematisch, als § 50 bei der Rückforderung zwischen bescheidmäßigen und bescheidlosen Leistungen differenziert, die es dann im Ergebnis kaum mehr geben kann (vgl. Komm. zu § 50).
Rz. 14
Die Frage der Entscheidung durch und in der Form eines VA stellt sich auch in den Fällen, in denen die Behörde selbst rechtlich relevante Erklärungen abgibt oder diese beachtet, wie z. B. eine Aufrechnungserklärung abgibt, einer Abtretung folgt oder eine Pfändung ausführt und an Dritte zahlt. Wie die Erbringung einer durch VA bewilligten oder ohne einen solchen VA gewährten tatsächlichen Leistung ist auch die Aufrechnungserklärung (vgl. BSG, Urteil v. 24.7.2003, B 4 RA 60/02 R), die Ausführung einer Abtretung oder eines Pfändungsbeschlusses nicht selbst wiederum VA. Es bedarf zur Ausführung auch keines umsetzenden VA, wie dies das BSG (Urteil v. 23.10.2003, B 4 RA 25/03 R) für eine Abtretungsvereinbarung wohl angenommen hatte. Mit den genannten Rechtsinstituten werden keine Regelungen über Ansprüche mehr getroffen, sondern diese werden vorausgesetzt und es sollen durch die Erklärung der Aufrechnung oder andere Erfüllungshandlungen, die im Regelfall die Tilgung von anderen Forderungen bewirken, wechselseitige Ansprüche zum Erlöschen gebracht werden. Wollte man in einer Aufrechnung selbst wiederum einen VA sehen, müsste man diesem bei Bestandskraft einen anspruchsvernichtenden Inhalt, Erlöschen der Forderung kraft VA, beimessen. Weder dafür noch für den Erlass eines Verrechnungsbescheides gibt es jedoch eine öffentlich-rechtliche Grundlage (vgl. BSG, Urteil v. 24.7.2003, B 4 RA 60/02 R). Davon ist der Große Senat des BSG (Beschluss v. 31.8.2011, GS 2/10) abgewichen und hat es für zulässig angesehen, dass die Aufrechnung durch Verwaltungsakt erfolgen kann. Der Gesetzgeber hat in Einzelfällen sogar die Handlungsform des Verwaltungsaktes ausdrücklich bestimmt (vgl. § 43 SGB II). Aus der Entscheidung des Großen Senates ergibt sich aber, dass die Aufrechnung auch durch eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung erfolgen kann (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 20.8.2015, L 5 KR 843/12,BSG, Urteil v. 31.5.2016, B 1 KR 38/15 R).
Rz. 15
Fraglich ist, ob auch bei einer insgesamt vorbehaltenen anderen Entscheidung oder einer überhaupt ausdrücklich nur als vorläufig gekennzeichneten Entscheidung ein (vorläufiger) VA zu sehen ist. Neben den in §§ 42, 43 SGB I geregelten Fallgestaltungen besteht aber auch in anderen Fällen das Bedürfnis, zunächst Leistungen gewähren zu können, jedoch die Bindungswirkung eines VA zu vermeiden, da der Sachverhalt noch nicht vollständig aufgeklärt werden konnte. Will die Behörde nicht Gefahr laufen, einen schon ursprünglich rechtswidrigen Bescheid zu erlassen und dennoch dem berechtigten Leistungsbegehren des Betroffenen – insbe...