Rz. 13
Abs. 2 enthält eine wohl als abschließend gedachte Aufzählung absoluter Nichtigkeitsgründe. Liegen diese Fehler vor, ist ungeachtet von Kenntnis, Erkennbarkeit oder materieller Richtigkeit der VA nichtig.
Rz. 14
Die fehlende Erkennbarkeit der Behörde (Abs. 2 Nr. 1) bei einem schriftlich oder elektronisch erlassenen VA als Nichtigkeitsgrund geht auf § 33 Abs. 3 zurück. Der VA muss die erlassende Behörde nicht ausdrücklich bezeichnen, er muss sie lediglich erkennen lassen (BSG, Urteil v. 23.6.1994, 12 RK 82/92 = SozR 3-1300 § 40 Nr. 2). Die Sanktion der Nichtigkeit ist daran geknüpft, dass die Behörde nicht aus dem Bescheid selbst ersichtlich ist (vgl. Komm. zu § 33) und für den Adressaten daher nicht erkennbar ist, zu welchem Rechtssubjekt Beziehungen geknüpft werden sollen. Dass das zur gesetzlichen Vertretung befugte Organ nicht erkennbar ist, begründet keine Nichtigkeit. Nichtigkeit tritt auch nicht ein, wenn lediglich behördeninterne Zuständigkeiten (z. B. Rentenausschuss statt allgemeiner Verwaltung) missachtet wurden.
Rz. 15
Die nach § 33 Abs. 3 gleichfalls erforderliche Unterschrift bzw. Namenswiedergabe bei einem schriftlichen VA wird nicht genannt und stellt demzufolge keinen Nichtigkeitsgrund dar. Für elektronische VA kann daher die Signatur auf die Erkennbarkeit der Behörde beschränkt sein.
Rz. 16
Die fehlende Aushändigung einer Urkunde (Abs. 2 Nr. 2), wie sie z. B. bei der Beamtenernennung als konstitutives Element erforderlich ist, hat als Nichtigkeitsgrund im Sozialrecht keine Bedeutung. Die als Rechtsfolge eines VA zu Legitimations- oder Beweiszwecken auszustellenden Urkunden (z. B. Ausweis als schwerbehinderter Mensch nach § 69 Abs. 5 SGB IX, Krankenversichertenkarte nach § 291 SGB V) fallen nicht unter diese Regelung, da sie keine konstitutive Bedeutung haben.
Rz. 17
Die Unausführbarkeit aus tatsächlichen Gründen (Abs. 2 Nr. 3) kommt hauptsächlich bei der durch VA angeordneten Verpflichtung zur Vornahme oder Unterlassung von Handlungen in Betracht, wie sie für die Ordnungsverwaltung typisch sind. Zur Nichtigkeit führt nur die objektive Unmöglichkeit für jedermann. Das subjektive Unvermögen oder die Unzumutbarkeit begründet keine Nichtigkeit nach Abs. 2, so dass sich eine hierdurch verursachte Nichtigkeit allenfalls noch aus Abs. 1 ergeben kann. Subjektives Unvermögen kann zudem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Sanktionen von Bedeutung sein oder die Rechtswidrigkeit einer angeordneten Mitwirkung (vgl. §§ 61f. SGB I) bei schon ursprünglichem subjektiven Unvermögen begründen. Rechtliche Unmöglichkeit wird von der Regelung in Abs. 2 Nr. 3 nicht erfasst und kann daher allenfalls nach Abs. 1 zur Nichtigkeit führen.
Rz. 18
Die Nichtigkeit eines VA, der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht (Abs. 2 Nr. 4), betrifft nur die Fälle, in denen der Straf- oder Bußgeldtatbestand durch den Adressaten bei Befolgung des VA erfüllt würde. Es führt daher nicht jeder Verstoß des VA gegen ein Verbotsgesetz zur Nichtigkeit (BSG, Urteil v. 7.9.2006, B 4 RA 43/05 R). Insoweit kommen, wie in den Fällen der Nr. 3, überhaupt nur verhaltensfordernde VA für die Anwendung der Regelung in Betracht. Ob dabei schuldhaft gehandelt würde, ist nicht entscheidend. Wegen Rechtfertigungsgründen kann die Rechtswidrigkeit im Einzelfall ausgeschlossen sein, so dass bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes für das im VA verlangte Handeln nicht von der Nichtigkeit des VA ausgegangen werden kann. Dass eine Ordnungsbehörde erklärt, die Ordnungswidrigkeit nicht verfolgen zu wollen, hindert die Nichtigkeit jedoch nicht (a. A. VG Potsdam, Urteil v. 26.4.1994, 1 K 54/93 = NVwZ 94 S. 925). Das Verlangen, eine rechtswidrige Tat zu begehen (hier: § 170 StGB = Verletzung der Unterhaltspflicht) kann nicht im Erlass eines Leistungs- oder Ablehnungsbescheid gesehen werden (BSG, Urteil v. 12.10.2016, B 4 AS 37/15 R). Die Nichtigkeit eines VA, der eine Anrechnung von Unterhalt auf das erzielte Einkommen ablehnt, kann daher nicht damit begründet werden, dass die Behörde billigend in Kauf genommen habe, dass der Leistungsempfänger seinen Unterhaltspflichten nicht nachkomme (BSG, a. a. O.).
Rz. 19
Die Nichtigkeit eines VA, der gegen die guten Sitten verstößt (Abs. 2 Nr. 5), knüpft an die Vorschrift des § 138 BGB an. Dabei gilt die Nichtigkeit für alle Fälle, in denen der VA selbst oder die von dem Adressaten verlangte Handlung gegen die guten Sitten verstößt. Im Sinne eines gegen die herrschende Rechts- oder Sozialmoral verstoßenden VA kommt der Regelung nur ein geringer Anwendungsbereich im Sozialrecht zu. Soweit das Sozialrecht an objektive Sachverhalte anknüpft, sind die dahinter stehenden Motive und Absichten für mögliche und/oder notwendige VA zumeist ohne Bedeutung. Ein VA kann daher auch an als sittenwidrig zu beurteilende Verhältnisse anschließen, ohne damit selbst sittenwidrig zu sein (vgl. BSG, Urteil v. 10.8.2000, B 12 KR 21/98 R, BSGE 87 S. 53; zur Wertneutralität de...