Rz. 2
Die Vorschrift entspricht § 46 VwVfG und § 127 AO. Sie soll, wie § 41, wegen der nur dienenden Funktion der Form- und Verfahrensvorschriften die Aufhebung materiell rechtmäßiger Verwaltungsakte (VA) allein wegen eines Form- oder Verfahrensfehlers einschränken. Vergleichbar ist die Regelung mit den prozessrechtlichen Vorschriften in § 563 ZPO, § 144 Abs. 4 VwGO und § 170 Abs. 1 Satz 2 SGG über die Zurückweisung der Revision, wenn sich die Entscheidung in der Sache als richtig erweist. Sie dient insofern der Verwaltungs- und Prozessökonomie, als sie die Wiederholung von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren mit den gleichen materiell-rechtlichen Fragestellungen vermeidet. Nach Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen soll nach Widersprüchen gegen i. S. d. § 42 formell fehlerhafte Bescheide keine Kostenerstattung gemäß § 63 in Betracht kommen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 8.5.2012, L 7 AS 52/11 B). Dies erscheint zweifelhaft, weil auch formelle Fehler, die letztlich unbeachtlich sind, Anlass dazu geben können, Rechtsschutz zu suchen. Für den Betroffenen wird es vielfach schwierig sein, einzuschätzen, welcher Verfahrensfehler letztlich beachtlich ist und welcher nicht.
Rz. 3
Den gegen diese Vorschrift erhobenen Bedenken, dass wegen der Folgenlosigkeit der Verstöße die formellen Vorschriften verwaltungsseitig nicht hinreichend beachtet würden, wird entgegengehalten, dass das Sozialrecht von der Verwirklichung der bestehenden sozialen materiellen Rechte geprägt war und ist und die Verfahrensvorschriften nicht diesen materiellen Rechten übergeordnet sind und dazu führen können, dass wegen Verstoßes gegen Form- oder Verfahrensvorschriften rechtswidrig durch VA zugebilligte Ansprüche in ihrem Bestand besser gesichert sind, als rechtmäßig zugebilligte. Eine Verfassungswidrigkeit etwa unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzips wird daher nicht anzunehmen sein (wie hier Waschull, in: LPK-SGB X, § 42 Rz. 2).
Rz. 4
Durch Art. 1 Nr. 6 des Vierten Euro-Einführungsgesetzes v. 21.12.2000 (BGBl. I S. 1983) ist der Anwendungsbereich der Vorschrift ab 1.1.2001 erheblich ausgeweitet worden. Während Verfahrensmängel zuvor nur dann keinen Anspruch auf Aufhebung des VA gaben, wenn rechtlich oder tatsächlich keine andere Entscheidung hätte getroffen werden können (Alternativlosigkeit), besteht nunmehr schon dann kein Anspruch auf Aufhebung des VA, wenn "offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat". Damit sind auch Verfahrensfehler unbeachtlich, die nicht kausal für den VA waren. Ausgenommen soll davon die unterbliebene und nicht wirksam nachgeholte Anhörung i. S. d. § 24 sein (Satz 2).
Rz. 5
Die Vorschrift ist ohne Übergangsregelung geändert worden, so dass auch für am 1.1.2001 anhängige Verfahren für den Aufhebungsanspruch auf die gesetzliche Neuregelung abzustellen ist. Verfahrensvorschriften können, ohne dass deswegen eine Grundrechtsverletzung vorliegt, für laufende Verwaltungsverfahren auch zum Nachteil des Betroffenen geändert werden (vgl. BVerfG, Beschluss v. 27.9.1951, 1 BvR 61/51, BVerfGE 1 S. 4, ebenso BVerfGE 11 S. 139; vgl. auch Steiner, NZS 2002 S. 117).