Rz. 8
Bei den Form- und Verfahrensvorschriften, die zur Anwendung des § 42 führen, sind die in § 40 Abs. 3, § 41 Abs. 1 genannten Mängel mit Ausnahme des Anhörungsmangels (Satz 2) beachtlich. Grundsätzlich sind jedoch über diese Vorschriften hinaus auch andere Verstöße gegen Vorschriften für das Verwaltungsverfahren (§§ 8ff.) als Verfahrensmängel zu beachten. Diese beziehen sich jedoch zumeist auch auf die Voraussetzungen für die materielle Rechtmäßigkeit des VA (z. B. die Amtsermittlung nach § 20, die Beweismittel nach §§ 21 ff., Wiedereinsetzung oder Antragstellung nach §§ 27, 28), so dass sie nicht nur als Verfahrensvorschriften anzusehen sind. Im Klageverfahren sind sie zumeist als Vor- oder Zwischenfragen der materiell richtigen Entscheidung von Bedeutung. Insbesondere eine zuvor unzureichende Sachverhaltsermittlung muss das Gericht nach dem Amtsermittlungsgrundsatz des § 103 SGG nachholen, schon um die rechtliche Möglichkeit einer anderen Sachentscheidung oder den Einfluss auf den VA prüfen zu können. Auch diese Fehler sind daher nach § 42 regelmäßig unbeachtlich (vgl. BSG, Urteil v. 17.12.1997, 11 RAr 61/97 = BSGE 81 S. 259 zur Unbeachtlichkeit unzureichender Sachaufklärung, wenn in der Sache keine andere Entscheidung möglich ist). Das Nichtbeidrücken eines Dienstsiegels auf der Ausfertigung eines Widerspruchsbescheides ist ein Zustellungsmangel, der nach § 42 unbeachtlich ist (VG Darmstadt, Urteil v. 28.4.2010, 5 K 951/08.DA).
Rz. 8a
Die Folgen einer fehlerhaften oder fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung sind ausschließlich in § 66 Abs. 2 SGG und § 58 VwGO geregelt, § 42 ist hierauf nicht anwendbar.
Rz. 9
Weil die örtliche Zuständigkeit in § 42 ausdrücklich erwähnt wird, kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass die nicht erwähnte sachliche oder funktionelle Zuständigkeit ohne weiteres beachtlich ist (BSG, Urteil v. 20.7.2010, B 2 U 19/09 R; VG München, Urteil v. 13.7.2006, M 15 K 04.1679; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 16.12.2009, L 10 SB 39/09). Hat eine Widerspruchsbehörde daher "erstinstanzlich" über einen erst im Widerspruchsbegehren erstmals gestellten Antrag auf eine Sozialleistung anstelle der Ausgangsbehörde entschieden, handelt die Widerspruchsbehörde sowohl sachlich als auch funktionell unzuständig. Dieser Verfahrensfehler ist beachtlich und begründet einen Aufhebungsanspruch (BSG, Urteil v. 18.10.2005, B 4 RA 21/05 R m. w. N.; ebenso BSG, Urteil v. 20.7.2010, B 2 U 19/09 R). Gerade im Sozialversicherungsrecht hat die sachliche Zuständigkeit zumeist auch Bedeutung für die örtliche Zuständigkeit. Einer sachlich unzuständigen Behörde fehlt die Kompetenz (Befugnis) zum Erlass eines VA außerhalb ihres Aufgabenbereichs für den konkreten Sachverhalt oder beteiligte Personen, so dass der VA schon deswegen aufzuheben ist. Dies gilt selbst dann, wenn in dem Verfahren der zuständige Träger beigeladen ist (vgl. BSG, Urteil v. 22.3.2001, B 12 P 3/00 R, SozR 3-2600 § 3 Nr. 5 zur Frage der RV-Pflicht von Pflegepersonen). Ansonsten begründet der Verstoß gegen örtliche Zuständigkeiten zumeist deswegen keinen Verfahrensmangel, weil auch die an sich örtlich zuständige Behörde aller Wahrscheinlichkeit nach auf der Grundlage gleicher gesetzlicher Vorschriften die gleiche Entscheidung getroffen hätte. Zu dem fehlerhaft besetzten Rentenausschuss einer Berufsgenossenschaft vgl. SG Hamburg, Urteil v. 8.5.2014, S 36 U 37/12; generell zu pluralistisch zusammengesetzten Gremien vgl. SG Aachen, Urteil v. 4.4.2014, S 6 U 155/11.