Rz. 20
Abs. 3 enthält keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme. Er enthält vielmehr eine Vertrauensschutzregelung in Gestalt von Ausschlussfristen für die Rücknahme (nur) von VA mit Dauerwirkung (zum Begriff vgl. Komm. zu § 48). Dem liegt zum Teil die Überlegung des Vertrauensschutzes wegen getroffener Vermögensdispositionen (Ausrichtung des Lebensstils auf bestimmte laufende Einkünfte), überwiegend jedoch wohl die Überlegung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit zugrunde. Für VA ohne Dauerwirkung, also einmalige Leistungsgewährungen, gelten die Ausschlussfristen nicht.
Rz. 21
Die Ausschlussfrist beträgt grundsätzlich 2 Jahre (Satz 1). Sie beginnt mit der Bekanntgabe des rechtswidrigen begünstigenden VA. Nach Ablauf von zwei Jahren ist die Rücknahme generell ausgeschlossen, auch wenn an sich Vertrauensschutz nach Abs. 2 Satz 2 nicht bestände. Während des Fristablaufes ergangene Bescheide nach § 48 (Anpassungsbescheide) verlängern die Frist jedenfalls dann nicht, wenn diese den Bescheidinhalt nicht wesentlich beeinflussen (BSG, Urteil v. 9.10.1986, 4b RV 9/86, SozR 1300 § 45 Nr. 25). Die in dem VA mit Dauerwirkung zugebilligte Leistung wird jedoch auf ihren Bestand festgeschrieben (Aussparen nach § 48 Abs. 3).
Rz. 22
Abs. 3 Satz 2 schließt die Rücknahmefrist von 2 Jahren in den Fällen des § 580 ZPO (Restitutionsklage) aus. Da für diese Fälle auch nicht die 10-jährige Ausschlussfrist gilt, ist eine Rücknahme zeitlich unbeschränkt zulässig. Ob und welche Ausschlussfristen in den Fällen der Restitutionsklage gelten, ist umstritten. Teilweise wird in analoger Anwendung von § 586 Abs. 2 ZPO die Geltung einer 5-jährigen Ausschlussfrist angenommen, teilweise jedoch sogar auch die Aufhebbarkeit über die 10-Jahres-Grenze hinaus vertreten. Die gesetzlichen Regelungen sehen ausdrücklich keine Ausschlussfristen vor, so dass sich diese auch nicht im Wege der Interpretation in die Vorschrift hineinlesen lassen. Von großer praktischer Bedeutung ist § 580 ZPO bislang nicht gewesen, da Ausschlussfristen ohnehin nur VA mit Dauerwirkung erfassen. Die Frage des Vertrauensschutzes wird man in diesen Fällen über die allgemeinen Vertrauensschutzregelungen nach Abs. 2 Satz 1 oder die Einhaltung der Handlungsfrist (Abs. 4 Satz 2) ab dem Bekanntwerden des Restitutionsgrundes und ggf. bei der Frage des Ermessens bei der rückwirkenden Rücknahme lösen müssen.
Rz. 23
Die allgemeine Ausschlussfrist wird auf eine Ausschlussfrist von 10 Jahren (Satz 2 und 3) verlängert, soweit die in Abs. 3 Satz 3 angesprochenen Sonderfälle
- falsche Angaben, Bösgläubigkeit (Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3) oder
- ein zulässiger Widerrufsvorbehalt
vorliegen. Die Verlängerung der Ausschlussfrist auf 10 Jahre stellt eine angemessene Sanktionsmöglichkeit im Hinblick auf das Vertrauen in den VA in den Fällen unrichtiger Angaben oder Bösgläubigkeit (Abs. 3 Satz 3 Nr. 1) und des zulässigen Widerrufsvorbehalts (Abs. 3 Satz 3 Nr. 2) dar. Die Vorschrift enthält für die verlängerte Ausschlussfrist keine Verweisung auf die Fälle der arglistigen Täuschung, Drohung oder Bestechung. Hier wird jedoch im Regelfall zugleich die Kenntnis der Rechtswidrigkeit des VA vorliegen, so dass derartige Tatbestände von Abs. 2 Nr. 3 mit erfasst werden. Denkbar ist auch eine zeitlich unbeschränkte Rücknahme.
Rz. 24
Bei einem zulässigen Widerrufsvorbehalt (Abs. 3 Satz 3 Nr. 2) ist das Recht der Behörde zur Rücknahme auf die 10-Jahres-Grenze beschränkt. Bei einem Widerrufsvorbehalt (vgl. Komm. zu § 47) ist der Vertrauensschutz in den Bestand des VA schon von Beginn an geringer. Erfasst wird mit der Frist aber nur die Rücknahme des VA wegen anderweitiger Rechtswidrigkeitsgründe, nicht der Widerruf für die Zukunft wegen Eintritts der Voraussetzungen für den Widerruf. Dieser Widerruf kann auch später als 10 Jahre nach Erlass des Bescheides noch ausgeübt werden, wenn z. B. ein Rücknahmebescheid bis dahin nicht erlassen oder von der Rücknahmemöglichkeit nach Ermessen kein Gebrauch gemacht worden war.
Rz. 25
Mit Gesetz v. 6.4.1998 (BGBl. I S. 688) ist eine weitere Verlängerung der Rücknahmefrist für laufende Geldleistungen durch eine Ausschlussfrist von mehr als 10 Jahren (Satz 4 und 5) seit Erlass des VA eingeführt worden.
Rz. 25a
Die Einfügung von Satz 4 und 5 sowie die Ergänzung der Verweisung in § 48 Abs. 4 Satz 1 erfolgten aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung v. 4.3.1998 (BT-Drs. 13/10033). Zur Begründung heißt es wie folgt (BT-Drs. 13/10033 S. 20 zu Art. 5 Nr. 2):
"Die Praxis, insbesondere bei Trägern der Rentenversicherung, hat gezeigt, dass rechtswidrige begünstigende VA mit Dauerwirkung nach Überschreitung der Zehnjahresfrist nicht mehr zurückgenommen werden können, auch wenn sich der Rentner der Unrechtmäßigkeit z. B. doppelter Rentenzahlungen bewusst ist. … Der Bundesrechnungshof fordert eine Rechtsänderung (BT-Drucks. 13/5700). Die Neuregelung lässt eine Rücknahme auch nach Ablauf von 10 Jahren zu, begrenzt die Rücknahme aber auf lau...