Rz. 52
Der VA mit Dauerwirkung soll auch dann rückwirkend aufgehoben werden, wenn der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der Anspruch des VA kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Rz. 53
Diese Bösgläubigkeit in den materiellen Bestand des Anspruchs und damit auch die Bösgläubigkeit hinsichtlich der daraus folgenden Leistungen rechtfertigen es, in diesen Fällen auch die Leistungen rückwirkend erstattet zu verlangen. Die Regelung ist Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens des Verbotes des Rechtsmissbrauchs, wonach sich niemand auf eine formale Rechtsposition berufen darf, wenn er deren materielle Unrechtmäßigkeit kennt (ähnlich die bereicherungsrechtliche Vorschrift des § 819 BGB und § 45 für die Aufhebung eines begünstigenden VA).
Rz. 54
Das Verschulden in Form von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit muss sich darauf beziehen, dass der bescheidmäßig festgestellte Anspruch kraft Gesetzes nicht mehr oder nicht mehr in dem ausgewiesenen Umfang besteht. Dieses Verschulden ist nicht in dem engen Sinn zu verstehen, dass der Betroffene konkret die Rechtsvorschrift nachvollzogen haben muss und dabei zu dem Schluss gekommen ist, dass der Anspruch aus dem Bescheid weggefallen oder ganz oder teilweise zum Ruhen gekommen ist. Ausreichend ist, dass der Betroffene laienhaft wusste oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass ihm der Anspruch dem Grunde oder der Höhe nach nicht mehr zusteht. Eine differenzierte Kenntnis zwischen Wegfall, Ruhen oder Minderung des Zahlbetrages ist nicht erforderlich. Derartige Kenntnis, zumindest aber grob fahrlässige Unkenntnis, dürfte dann gegeben sein, wenn in dem Bescheid oder den Merkblättern dazu auf Ruhens- oder Wegfalltatbestände hingewiesen wurde oder aus den Berechnungen des Bescheides Ruhenstatbestände erkennbar sind. Von grob fahrlässiger Unkenntnis kann auch dann ausgegangen werden, wenn der Bescheid auf konkrete Tatbestände Bezug nimmt, die später wegfallen, so dass jedermann erkennbar ist, dass dies nicht ohne Auswirkung auf den Bestand des Bescheids bleiben konnte. Bei einem vorliegenden VA soll jedoch keine Pflicht des Betroffenen bestehen, die Rechtsentwicklung zu verfolgen (BSG, Urteil v. 4.7.1989, 9 RVs 3/88, SozR 1300 § 48 Nr. 57, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.8.2010, L 22 R 1957/08). Andererseits gilt hinsichtlich verkündeter Gesetze der Grundsatz der formellen Publizität, so dass jedermann nicht nur den Gesetzen unterworfen ist, sondern diese auch zur Kenntnis nehmen kann oder muss. Wenn die Vorschrift daher auf gesetzlichen Wegfall oder Ruhen abstellt, müsste von einer entsprechenden Pflicht zur Kenntnisnahme der Gesetze oder Einzelvorschriften ausgegangen werden (vgl. auch die Komm. zu § 45; offengelassen in LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.8.2010, L 22 R 1957/08 Rz. 44). Insbesondere bei Gesetzesänderungen, die in der Öffentlichkeit breit dargestellt und diskutiert worden sind, wird eine schwere Sorgfaltspflichtverletzung eher anzunehmen sein (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 27.8.2010, L 22 R 1957/08). Gesetzesänderungen, die wenig beachtete Nebengesetze betreffen und die nicht vorbereitend in der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden, wird man hingegen nicht in jedem Fall als bekannt voraussetzen können, so dass hier eine Sorgfaltspflichtverletzung in besonders schwerem Maße eher nicht anzunehmen ist, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalles vorliegen, die auf eine derartige Pflichtverletzung hindeuten, wie etwa Hinweise darauf, dass der Betroffene auf für ihn günstige Umstände aus vorangegangenen Gesetzesänderungen stets zeitnah hingewiesen und damit eine kontinuierliche Beobachtung der Gesetzesentwicklung dokumentiert hat.
Rz. 54a
Keine Bösgläubigkeit wird vielfach bei Leistungsbeziehern nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung) vorliegen, die die Neuregelung des § 41a SGb XII nicht kennen, welcher ab dem 1.7.2017 bei Auslandsaufenthalten Leistungseinschränkungen vorsieht. Denn wer bereits seit längerer Zeit diese Leistungen bezieht und bisher die Erfahrung gemacht hat, dass die bisherigen Auslandsaufenthalte unschädlich waren, handelt i. d. R. nicht grob fahrlässig oder vorsätzlich, wenn er einen Auslandsaufenthalt nicht anzeigt (Schwabe, ZfF 2017 S. 105). Anders wird die Sachlage zu beurteilen sein, wenn die Behörde in einem Informationsschreiben auf die neue Rechtslage hingewiesen hat.
Rz. 55
Die Regelung der Nr. 4 bezieht sich auf den Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse für die Rückwirkung, also eine Änderung des Bescheides ab Wegfall oder Ruhen des Anspruchs kraft Gesetzes. Die Bösgläubigkeit als subjektives Merkmal kann zwar auch ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gegeben sein, insbesondere wenn sich grundlegende Leistungsvoraussetzungen verändert haben, kann jedoch auch erst später eintreten. Da wesentliche Änderungen und Verschulden ers...