Rz. 35
Mit der Einordnung des Unfallversicherungsrechts in das SGB sind in Abs. 1 Nr. 4 die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) sowie die in Blindenwerkstätten Tätigen ausdrücklich in die Versicherung kraft Gesetzes einbezogen worden (zur historischen Entwicklung der Norm vgl. BSG, Urteil v. 18.1.2011, B 2 U 9/10 R Rz. 29). Sie galten schon nach altem Recht als Beschäftigte. Zur Vermeidung von Unsicherheiten hat der Gesetzgeber das Bestehen des Unfallversicherungsschutzes dieser Personengruppe ausdrücklich geregelt (BT-Drs. 13/2204 S. 74). Damit sollen behinderte Menschen in WfbM (§§ 219 f. i. d. F. des BTHG v. 23.12.2016, BGBl I S. 3234) oder bei einem anderen Leistungsanbieter (§ 60 SGB IX i. d. F. des BTHG) oder in Blindenwerkstätten (§ 226 SGB IX i. d. F. des BTHG) in gleicher Weise – aber auch nicht weitergehend – wie nichtbehinderte Menschen bei Ausübung ihrer Tätigkeit versichert sein (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 28.10.2008, L 15 U 30/08; BSG, Urteil v. 18.1.2011, B 2 U 9/10 R). Der Schutz besteht auch für eine Tätigkeit für eine WfbM, einen anderen Leistungsanbieter oder eine Blindenwerkstätte in Heimarbeit (vgl. Rz. 41).
Rz. 36
Gemäß § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Es kommt weder auf die Art und Schwere der Behinderung noch auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit der geleisteten Tätigkeit an. Es genügt zur Begründung des Versicherungsschutzes, dass ein behinderter Mensch in eine anerkannte WfbM oder eine der früheren Blindenwerkstätten aufgenommen ist und des Schutzes der Einrichtung bedarf (Kater/Leube, SGB VII, § 2 Rz. 131). Der Versicherungsschutz endet, sobald der behinderte Mensch aus der WfbM oder der Blindenwerkstätte ausgeschieden ist.
2.4.1 Werkstätten für behinderte Menschen
Rz. 37
Die Aufnahme in eine anerkannte Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM; § 219 Abs. 1 Satz 2 SGB IX) erfolgt mit der gesetzlichen Zwecksetzung, die Leistungs- oder Erwerbsfähigkeit der behinderten Menschen zu erhalten, zu entwickeln, zu erhöhen oder wiederzugewinnen und dabei die Persönlichkeit dieser Menschen weiterzuentwickeln und ihre Beschäftigung zu ermöglichen oder zu sichern (§ 39 SGB IX). In die WfbM werden behinderte Menschen unabhängig von Art oder Schwere der Behinderung aufgenommen, sofern zu erwarten ist, dass sie ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen können (§ 219 Abs. 2 Satz 1 SGB IX).
Rz. 38
§ 219 SGB IX definiert die WfbM – auch für das SGB VII – als Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Sie hat behinderten Menschen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung aktuell nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können, eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anzubieten. Die Anforderungen an die Einrichtungen sind in der Werkstättenverordnung (WVO) geregelt. Die Bundesagentur für Arbeit führt ein Verzeichnis der anerkannten WfbM (§ 225 Satz 3 SGB IX).
Rz. 39
Die Versicherteneigenschaft tritt mit Aufnahme in jeden Bereich einer WfbM ein, also auch mit Eintritt in den Bereich des Eingangsverfahrens sowie in den Berufsbildungs- und den Arbeitsbereich (BSG, Urteil v. 18.1.2011, B 2 U 9/10 R). Auch begleitende Maßnahmen in der WfbM, die zugleich der Therapie dienen, sind versichert, da die jeweiligen Betätigungen in der Einrichtung nicht nach ihrer Zielrichtung differenziert werden sollen (vgl. zum früheren Recht mit Fiktion einer Beschäftigung BSG, Urteil v. 13.6.1989, 2 RU 1/89, BSGE 65 S. 138, 143). Die Versicherung nach Nr. 4 schützt aber nicht die behinderten Menschen, die die Voraussetzungen einer Tätigkeit in einer Werkstätte nicht erfüllen. Sie sind auch dann nicht versichert, wenn sie in Einrichtungen und Gruppen betreut werden, die einer WfbM angegliedert sind (§ 136 Abs. 3 SGB IX). Nach Nr. 4 ist nicht die Tätigkeit in einem Inklusionsbetrieb (§ 215 SGB IX) versichert, auch wenn dieser einer WfbM räumlich und/oder organisatorisch angegliedert sein sollte (sog. "verlängertes Dach"). Die Aufnahme in einen solchen Inklusionsbetrieb dient der sozialen Eingliederung und nicht der Teilhabe am Arbeitsleben dient (BSG, Urteil v. 18.1.2011, B 2 U 9/10 R Rz. 21; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 7.11.2014, L 15 U 490/14). An dieser Differenzierung im Versicherungsschutz von behinderten Menschen wollte der Gesetzgeber keine Änderung vornehmen (vgl. BT-Drs. 17/6541 Nr. 115).
2.4.2 Blindenwerkstätten
Rz. 40
Blindenwerkstätten waren Betriebe, in denen ausschließlich Blindenwaren hergestellt und in denen bei der Herstellung andere Personen als Blinde nur mit Hilfs- oder Nebenarbeiten beschäftigt werden (§ 226 SGB IX; § 5 Abs. 1 Nr. 1 Blindenwarenvertriebsgesetz [BliwaG]). Soweit es auch den Zusammenschluss von ...