Rz. 48
Folge eines Verstoßes gegen das Gutachterauswahlrecht in Abs. 2 HS 1 ist jedenfalls dann ein Beweisverwertungsverbot, wenn gleichzeitig ein Verstoß gegen Abs. 2 HS 2 vorliegt (BSG, Urteile v. 5.2.2008, B 2 U 8/07 R und B 2 U 10/07 R; krit. hierzu insbesondere Behrens/Froede, NZS 2009 S. 128). Dies folgt aus dem Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfG, NJW 1992 S. 815; BVerfGE 117 S. 202 – Heimliche Vaterschaftstests). Bei einem im sozialgerichtlichen Verfahren unverlangt vorgelegten Gutachten des Unfallversicherungsträgers wird regelmäßig ein Verstoß gegen beide Regelungsbereiche vorliegen, so dass sich die Frage stellt, wie dann weiter zu verfahren ist.
Rz. 49
Sollte allerdings, was theoretisch möglich ist, allein ein Verstoß gegen Abs. 2 HS 1 vorliegen, dürfte hieraus noch kein Beweisverwertungsverbot folgen. Das BSG hat diese Frage ausdrücklich offengelassen, doch weist das BSG (a. a. O.) darauf hin, dass die Rechtsposition des Versicherten beim Auswahlrecht (HS 1) verglichen mit seinem Widerspruchsrecht (HS 2) erheblich schwächer ist, weil er sich zwar zu den vorgeschlagenen Gutachtern äußern und ggf. einen Gegenvorschlag machen kann, die beklagte Berufsgenossenschaft dem aber nicht folgen muss; außerdem sei nicht zu erkennen, wieso das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zwingend zu einem Auswahlrecht hinsichtlich des Sachverständigen gegenüber dem beklagten Unfallversicherungsträger führen muss. Diese Bemerkungen lassen den Schluss zu, dass die Hürde eines Beweisverwertungsverbots bei einem einfachen Verstoß gegen das Auswahlrecht, nicht aber gegen Abs. 2 HS 2, nach Ansicht des BSG nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen würde (Bieresborn, SGb 2009 S. 49). Etwas anderes müsste hier jedenfalls für den Fall vorsätzlichen Handelns gelten, weil die Verwaltung grundsätzlich die Rechtsstaatlichkeit ihres Handelns zu gewährleisten hat und bei einer vorsätzlichen Verletzung von Verfahrensvorschriften ein Beweisverwertungsverbot zwingend ist (Behrens/Froede, NZS 2009 S. 128). Außerdem bleibt fraglich, ob nicht auch das Gutachterauswahlrecht entgegen der Lesart des BSG eine – wenn auch eingeschränkte – Möglichkeit des Versicherten darstellt, im Rahmen seines informellen Selbstbestimmungsrechts die Übermittlung seiner Daten zu steuern bzw. die Übermittlung an bestimmte Personen zu verhindern (C. Wagner, in: jurisPR-SozR 25/2008 Rz. 6; ebenso in jurisPK-SGB VII, Stand 1/09, § 200 Rz. 44).
Rz. 50
Aufgrund eines Grundrechtsverstoßes gegen das auch durch Abs. 2 HS 2 geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ein Gutachten jedenfalls grundsätzlich nicht verwertbar. Dies bedeutet allerdings keinesfalls, dass das Gutachten aus der Akte zu entfernen ist, weil es dennoch ein Aktenbestandteil ist und auch unzulässige Beweismittel Bestandteil der Gerichtsakten über diesen Vorgang darstellen. Im Übrigen besteht der Anspruch auf Löschung aus § 84 SGB X nur im Rahmen des Verwaltungsverfahrens. Schon deshalb kann daraus kein Anspruch auf Löschung von Gutachten aus den Gerichtsakten hergeleitet werden. Das Gutachten ist daher auch nicht zu schwärzen, sondern besonders kenntlich zu machen. Der Ausschluss der Verwertung kann auch dadurch sichergestellt werden, dass das Gutachten in einen besonderen verschlossenen Umschlag aufgenommen wird, der weiterhin mit den Gerichtsakten geführt wird. Anderenfalls ist es erforderlich, bei jeder Akteneinsicht durch einen weiteren Gutachter oder einen anderen berechtigten Dritten das Gutachten zu entfernen, bevor die Akten zur Einsicht versandt oder übergeben werden. Hierüber hat das Gericht gegebenenfalls vor der Versendung des Gutachtens an einen weiteren Gutachter durch eine nicht isoliert anfechtbare Zwischenentscheidung (§ 172 Abs. 2 SGG) zu entscheiden (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 30.1.2009, L 2 U 198/04). Das Entfernen aus der Akte kann schon deswegen nicht in Betracht kommen, weil bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens der Standpunkt eines Beteiligten oder des Gerichts, ein Gutachten unterliege einem Beweisverwertungsverbot, noch nicht rechtswirksam festgestellt worden ist (vgl. SG Gießen, Urteil v. 25.5.2009, S 1 U 237/07, wonach eine Entfernung aus der Akte jedenfalls erst durch das LSG als 2. Tatsacheninstanz beschlossen werden könnte).
Rz. 51
Der Standpunkt, nur ein Entfernen aus der Akte beseitige völlig den Rechtsverstoß der Verwaltung, lässt sich im Übrigen ad absurdum führen; denn dann müssten auch die Entscheidungen der Sozialgerichte oder der Landessozialgerichte, in denen auf die angegriffenen Gutachten rekurriert wird, für eine Neuverhandlung der Sache aus der Akte entfernt werden (vgl. Bieresborn, SGb 2009 S. 49). Vorzugswürdig ist daher die bloße Kenntlichmachung in der Akte und die Entfernung aus der Akte vorübergehend nur für den Fall der Versendung der Akte an einen neuen Gutachter.
Rz. 52
Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots:
Die Fernwirkung eines Beweisverwertungsverbots betr...