2.1 Voraussetzungen
Rz. 5
Während der ersten 3 Jahre nach dem Versicherungsfall soll die Rente als vorläufige Entschädigung festgestellt werden (§ 62 Abs. 1). Nur eine derartige Leistung kann im Sinne der Vorschrift als Gesamtvergütung abgefunden werden. Bezieht der Versicherte eine Rente auf unbestimmte Zeit (§ 62 Abs. 2), kann keine Gesamtvergütung festgestellt werden.
Rz. 6
Eine Gesamtvergütung als Abfindung setzt voraus, dass unter Berücksichtigung der Art der Verletzung die Folgen des Versicherungsfalls bis zum Ablauf von 3 Jahren nach dem Versicherungsfall soweit abgeklungen sind, dass eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von wenigstens 20 % nicht mehr vorliegt und es nicht zur Leistung einer Rente auf unbestimmte Zeit kommt.
Rz. 7
Da die Gesamtvergütung an die Stelle des Anspruchs auf eine vorläufige Entschädigung tritt, müssen zunächst die Voraussetzungen nach § 56 erfüllt sein.
2.2 Ermessensentscheidung
Rz. 8
Es handelt sich bei der Gesamtvergütung um eine Ermessensentscheidung. Abweichend zur Abfindung nach § 76 und § 78 bedarf es weder eines Antrages noch einer Zustimmung des Versicherten. Eine gerichtliche Überprüfung dieser Ermessensleistung ist daher auch nur im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG möglich. Einen Rechtsanspruch auf die Gewährung einer Gesamtvergütung hat der Versicherte nicht.
Rz. 9
Die geleistete Gesamtvergütung ist ebenso wie eine laufende Rentenzahlung steuerfrei.
Rz. 10
In der Feststellung einer Abfindung der vorläufigen Entschädigung als Gesamtvergütung ist nicht zugleich die Ablehnung des Unfallversicherungsträgers über eine Rente auf unbestimmte Zeit enthalten (vgl. BSG, Beschluss v. 17.10.1990, 2 BU 32/90; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 13.7.2022, L 6 U 3149/22).
2.3 Voraussichtlicher Rentenaufwand
Rz. 11
Nach Abschluss der Heilbehandlung wird der Unfallversicherungsträger mittels Gutachten eines medizinischen Sachverständigen prüfen, ob und inwieweit rentenberechtigende Folgen des Versicherungsfalls verblieben sind. Deuten die Art der Verletzung und die allgemeine Erfahrung darauf hin, dass zu einem Zeitpunkt, der vor Ablauf des 3. Jahres nach dem Versicherungsfall liegt, die Folgen des Versicherungsfalls kein rentenberechtigendes Ausmaß mehr erreichen, kann die Rente bis zum Ablauf des Monats, in dem angenommen wird, dass die Voraussetzungen für einen Rentenbezug nicht mehr gegeben sein werden, als Gesamtvergütung abgefunden werden. Anders als bei laufenden Renten, sind hinsichtlich der Höhe der MdE Abstufungen möglich, beispielsweise für das erste Jahr nach einer MdE von 30 %, danach für weitere 6 Monate nach einer MdE von 20 % (Kranig, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 75 Rz. 8).
In Rechtsprechung und Literatur ist bislang nicht geklärt, wie sich eine Verschlimmerung der Folgen des Versicherungsfalls während des Zeitraums der Gesamtvergütung auswirkt. Zu denken wäre an eine Analogie zu § 76 Abs. 3 (Ricke/Kellner, in: KassKom, SGB VII, § 75 Rz. 4.1).
Rz. 12
Ob künftige Rentenanpassungen zu berücksichtigen sind, ist in der Kommentarliteratur umstritten (für die Berücksichtigung z. B. Marschner, in: BeckOK SozR, SGB VII, § 75 Rz. 8). Überwiegend wird jedoch die Auffassung vertreten, dass diese aufgrund des Charakters der Abfindung (u. a. Verwaltungsvereinfachung, vgl. hierzu Rz. 2) nicht zu berücksichtigen sind (Jung, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, zu § 75; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 75 Rz. 7; Kranig in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 75 Rz. 11 unter Verweis auf ein Schreiben des BVA v. 18.6.2008, III 4-6012.1-784/08, mitgeteilt durch HVBG-Rundschreiben UV-Recht 044/2008). Rentenanpassungen sind daher nur dann zu berücksichtigen, wenn sie im Zeitpunkt der Entscheidung des Unfallversicherungsträgers über die Gesamtvergütung bereits im Bundesgesetzblatt verkündet sind. Gleiches gilt im Hinblick auf eine Neufestsetzung des JAV nach §§ 90, 91. Eine Berücksichtigung erfolgt nur, wenn der neue JAV bei der Entscheidung über die Gesamtvergütung bereits berechnet werden kann (Jung, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, § 75 Rz. 11).
2.4 Rentenanspruch nach Gesamtvergütung
Rz. 13
Liegen nach Ablauf des Zeitraums, für den eine Gesamtvergütung geleistet wurde, weiterhin die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente vor, wird die Rente auf Antrag des Versicherten auch über diesen Zeitraum hinaus geleistet. Der Antrag kann vor oder nach Ende des Gesamtvergütungszeitraumes gestellt werden. Zu beachten ist die Verjährungsregelung des § 45 SGB I. Einer bestimmten Form des Antrags bedarf es ebenso wie eines Nachweises, dass die Voraussetzungen für eine Rente weiterhin gegeben sind, nicht. Ggf. kann auch ein Widerspruch gegen den Bescheid über die Gesamtvergütung einen entsprechenden Antrag beinhalten, was jedoch einer Klarstellung bedarf (Jung, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, § 75 Rz. 13). Der Antrag ist keine materiell-rechtliche Leistungsvoraussetzung. Er dient dem Zweck, den Unfallversicherungsträger darauf hinzuweisen, dass möglicherweise noch ein Rentenanspruch über den Gesamtvergütungszeitraum hinaus vorliegt (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 75 Rz 8). Daher muss der ...