2.1.1 Von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis
Rz. 4
Das Ereignis muss von außen einwirken (BSG, Urteil v. 9.5.2006, B 2 U 1/05 R). Damit sind Vorgänge jeglicher Art, z. B. auch ein Stolpern oder ein irgendwie gearteter Sturz umfasst. Es wird lediglich klargestellt, dass eine (körper)innere Ursache (z. B. ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall, ein epileptischer Anfall) kein Unfallereignis darstellt. Allerdings kann die innere Ursache ihrerseits durch einen äußeren Vorgang hervorgerufen worden sein, z. B. kann eine besondere körperliche Anstrengung den epileptischen Anfall oder ein Stresszustand den Herzinfarkt verursacht haben (dazu BSG, Urteil v. 2.2.1999, B 2 U 6/98 R). Dann liegt jedenfalls ein von außen einwirkendes Ereignis vor.
Rz. 4a
Da der Unfallbegriff lediglich der Abgrenzung von der inneren Ursache dient, können auch willensgesteuerte Vorgänge dem Unfallbegriff unterfallen (vgl. auch Rz. 8).
- Der Möbelpacker hebt einen schweren Schrank an und zieht sich dabei eine Zerrung zu. Das Verhebetrauma erfüllt insoweit den Unfallbegriff. Allerdings ist weiter zu prüfen, ob das Ereignis zu einer Einwirkung geführt hat (dazu Rz. 6 f.).
- Ein Steinmetz verspürte beim Anheben eines ca. 70 kg schweren festgefrorenen Steins plötzlich einen stechenden Kopfschmerz. Anschließend wurde eine Subarachnoidalblutung (Einblutung im Schädelinneren) festgestellt, die zu weiteren Folgeerkrankungen führte (BSG, Urteil v. 12.4.2005, B 2 U 27/04 R).
Rz. 4b
Es muss sich nicht um ein außergewöhnliches Ereignis handeln. Auch solche Geschehnisse, die im Rahmen der versicherten Tätigkeit "üblich" oder alltäglich sind, können ein Unfallereignis darstellen (BSG, Urteil v. 6.5.2021, B 2 U 15/19 R).
- Ein Arbeitnehmer stolpert über die eigenen Füße.
- Ein S-Bahn-Fahrer führt eine Bremsung durch (BSG, Urteile v. 29.11.2011, B 2 U 10/11 R und B 2 U 23/10 R). Im letzteren Falle sieht das BSG es offenbar als entscheidend an, dass das Handeln des Zugführers durch einen Vorgang ausgelöst wurde, der zeitlich begrenzt von außen auf seinen Körper eingewirkt hat.
2.1.2 Plötzliches Ereignis
Rz. 5
Das Ereignis muss zeitlich begrenzt sein. Hier findet die Abgrenzung des Unfallereignisses zu einer (Berufs-)Krankheit statt. Nach ständiger Rechtsprechung (BSG, Urteil v. 8.12.1998, B 2 U 1/98 R) darf der Vorgang längstens eine Arbeitsschicht lang angedauert haben. Es muss feststellbar sein, dass er sich innerhalb einer Arbeitsschicht ereignet hat. Eine noch genauere zeitliche Eingrenzung ist nicht erforderlich.
2.1.3 Einwirkung
Rz. 6
Das Ereignis muss auf den Körper einwirken. Infolgedessen setzt das Unfallereignis begrifflich voraus, dass eine Einwirkung, d. h. ein – wenn auch geringfügiger – Gesundheitsschaden festgestellt werden kann (z. B. eine leichte Prellung). Folge: Ein wirkungsloses Ereignis ist kein Unfallereignis!
Lässt sich nicht feststellen, dass der später eingetretene Riss einer zur Rotatorenmanschette gehörenden Sehne durch ein bestimmtes Ereignis (traumatisch) hervorgerufen wurde, so fehlt bereits der Nachweis eines Unfallereignisses.
Rz. 7
Die Einwirkung auf den Körper stellt auch dann ein Unfallereignis dar, wenn sie zwar keinen Körperschaden, jedoch einen psychischen Gesundheitsschaden herbeigeführt hat.
- Ein Schockerlebnis führt zu einer psychischen Erkrankung.
- Ein Schock oder eine schwere Kränkung schädigt den Betroffenen derart psychisch, dass er in der Folge Selbstmord begeht (BSG, Urteil v. 8.12.1998, B 2 U 1/98 R; Urteil v. 18.12.1986, 4a RJ 9/86).
2.1.4 Sonderfälle
Rz. 8
Die verschiedentlich aufgeworfene Frage, ob nur eine unfreiwillige Handlung des Verletzten ein (Arbeits-)Unfallereignis zu begründen vermag, ist kein letztlich taugliches Abgrenzungskriterium. Ein Unfallereignis ist ohnehin nicht die Handlung des Versicherten, die zur Verletzung führt, sondern die äußere Einwirkung, die im Zusammenhang damit steht. Bei einer willentlichen oder vorsätzlichen Selbstschädigung oder Selbstverstümmelung fehlt es an der äußeren Einwirkung. Stattdessen führt die Verletzungshandlung des Versicherten die Schädigung herbei. Die Selbstschädigung kann aber auch Reaktion auf eine äußere Einwirkung sein. Dann liegt ein Unfallereignis vor.
Der Versicherte weicht einem entgegenkommenden Fußgänger aus und erleidet infolgedessen einen Körperschaden. Es liegt ein Unfall vor.
Rz. 9
Bei der Selbsttötung stellt sich in ähnlicher Weise die Frage nach der äußeren Einwirkung. Die Selbsttötung ist an sich kein Unfallereignis. Sie kann jedoch (mittelbare) Folge eines Arbeitsunfalls sein. Dies kommt dann in Betracht, wenn der Arbeitsunfall psychische Krankheitserscheinungen zur Folge hatte, die ihrerseits zur Selbsttötung führten, oder wenn der Arbeitsunfall unerträgliche Schmerzen zur Folge hatte und diese den Grund für die Selbsttötung darstellten (BSG, Urteil v. 18.1.1990, 8 RKnU 1/89).