BAG, Urteil vom 19.6.2024, 5 AZR 241/23
Für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist Voraussetzung, dass die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist und der Anspruch auf Arbeitsentgelt somit nicht bereits aufgrund anderer Ursachen entfallen ist. Dies gilt auch bei einem Beschäftigungsverbot durch das Gesundheitsamt nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG a. F. wegen fehlendem Impfnachweis.
Sachverhalt
Die Klägerin ist seit Mai 2011 als Krankenschwester im Krankenhaus der Beklagten beschäftigt. Da sie nicht gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 geimpft war, wurde sie am 30.5.2022 durch das Gesundheitsamt der Stadt Essen aufgefordert, bis zum 7.6.2022 einen Nachweis nach § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG a. F. vorzulegen. Da die Klägerin diesem nicht nachkam, untersagte ihr das Gesundheitsamt mit der bestandskräftigen Ordnungsverfügung vom 6.9.2022 nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG a. F. ab sofort bis zur Vorlage eines entsprechenden Nachweises die Tätigkeit in der Einrichtung der Beklagten sowie das Betreten der Einrichtung zum Zwecke der Verrichtung der Tätigkeit.
Am Tag der Zustellung des Bescheides, dem 8.9.2022, erschien die Klägerin nicht zur Frühschicht, weil sie arbeitsunfähig erkrankt war. Am 9.9.2022 stellte ihr Hausarzt eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 8. bis zum 23.9.2022 aus. In Folge legte sie der Beklagten 3 weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor bis zum 2.11.2022. Seit dem 28.11.2022 arbeitete die Klägerin wieder.
Da die Beklagte für die Zeit vom 8.9. bis zum 2.11.2022 keine Vergütung bezahlte, forderte die Klägerin die Beklagte zur Zahlung des Entgelts im Krankheitsfall auf. Daraufhin leistete die Beklagte zwar mit den Bezügen für den Monat Juli 2023 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, jedoch nur für den 8. und 9.9.2022. Deshalb erhob die Klägerin Klage; sie war der Ansicht, der Grundsatz der Monokausalität komme vorliegend nicht zur Anwendung, da ihre Erkrankung aufgrund des Zeitablaufs chronologisch vorrangig sei. Insbesondere sei wegen ihrer Erkrankung ab dem 8.9.2022 für sie die Möglichkeit der Impfung ausgeschlossen gewesen.
Die Entscheidung
Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Das Gericht führte aus, dass die Klägerin im Streitzeitraum zwar arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei, dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung jedoch der Grundsatz der Monokausalität entgegenstehe; denn die Klägerin war bereits aufgrund der Ordnungsverfügung des Gesundheitsamts der Stadt Essen vom 6.9.2022 an der Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung gehindert. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch bestehe jedoch grundsätzlich nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung sei und dürfe nicht bereits aufgrund anderer Ursachen entfallen sein. Dieser Kausalzusammenhang sei vorliegend nicht gewahrt, weil das behördliche Verbot nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG a. F. seinerseits nicht unmittelbare Folge der Erkrankung war, sondern auf der fehlenden Vorlage eines Nachweises nach § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG a. F. beruhte und somit ein weiterer, paralleler Umstand sei, der für sich allein gesehen Grund der Arbeitsverhinderung war.
Nach Auffassung des Gerichts sei es auch irrelevant, dass die Klägerin bereits vor Zugang der Ordnungsverfügung erkrankt sei; denn mit deren Zugang wäre ein zuvor bestehender Anspruch auf Entgeltfortzahlung erloschen, weil die Klägerin die vertraglich geschuldete Leistung aufgrund des behördlichen Verbots nicht mehr hätte erbringen können. Mit dem Wirksamwerden des Tätigkeits- und Betretungsverbots wäre eine zuvor bestehende Arbeitsunfähigkeit nicht mehr die alleinige und ausschließliche Ursache für den Arbeitsausfall und damit den Verlust des Vergütungsanspruchs gewesen.
Anmerkung
Da im vorliegenden Fall der Grund für das Beschäftigungsverbot der fehlende Impfnachweis und keine Erkrankung der Klägerin war, war dieser Fall anders zu bewerten als die vom Senat entschiedenen Fällen von Arbeitnehmern, die sich infolge einer ansteckenden Krankheit aufgrund einer hierauf bezogenen behördlichen Anordnung in häusliche Isolierung (Quarantäne) begeben mussten und dort ihre Arbeitsleistung nicht erbringen konnten (vgl. BAG, Urteil v. 20.3.2024, 5 AZR 234/23; BAG, Urteil v. 20.3.2024, 5 AZR 235/23).