Im Unterschied zum TVöD (§ 6 Abs. 9.1 TVöD-V als Nachfolgeregelung zu § 17 Abs. 2 BAT) enthielt der TV-V bis zum 31.8.2020 keine Regelungen zu der Frage, ob und ggf. in welchem Umfang Reisezeiten als Arbeitszeit gelten und wie diese zu bezahlen sind. Dies haben die Tarifvertragsparteien bewusst unterlassen, um den Betrieben die Möglichkeit zu geben, insoweit auf ihre jeweiligen Verhältnisse zugeschnittene Regelungen zu treffen.
Im Rahmen der Tarifrunde 2020 haben sich die Tarifvertragsparteien darauf verständigt, die bereits in § 44 Abs. 2 BT-V enthaltene Regelung u. a. auch auf den TV-V zu übertragen. Dies ist aufgrund des 15. Änderungstarifvertrages vom 25.10.2020 zum TV-V erfolgt, und zwar durch die Anfügung eines neuen Absatzes 10 in § 8 mit Wirkung vom 1.9.2020.
Nach § 8 Abs. 10 Satz 1 TV-V gilt bei ein- und mehrtägigen Dienstreisen grundsätzlich nur die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme am auswärtigen Geschäftsort als Arbeitszeit. Wird der Arbeitnehmer am auswärtigen Beschäftigungsort länger eingesetzt, als das in seinem Betrieb dienstplanmäßig oder betriebsüblich der Fall gewesen wäre, ist diese längere Arbeitszeit zu berücksichtigen. Bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen kann es insoweit zu Überstunden kommen. Die Reisezeit selbst und die sonstigen Aufenthaltszeiten am Geschäftsort sind keine Arbeitszeit.
Durch § 8 Abs. 10 Satz 2 TV-V wird sichergestellt, dass der Arbeitnehmer infolge einer ein- oder mehrtägigen Dienstreise keine Schlechterstellung gegenüber seiner normalen Tätigkeit im Betrieb erfährt.
Ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer beginnt eine eintägige Dienstreise um 8.00 Uhr. Die auswärtige dienstliche Tätigkeit beginnt um 10 Uhr und endet um 16 Uhr (mit halbstündiger Pause). Um 18 Uhr ist die Dienstreise beendet.
Ohne die Regelung in § 8 Abs. 10 Satz 2 TV-V hätte der Arbeitnehmer an diesem Tag eine Arbeitszeit von 5,5 Stunden, nämlich von 10 bis 16 Uhr abzüglich der Mittagspause. Damit würde er schlechter gestellt, als wenn er im Betrieb geblieben und gearbeitet hätte (7,7 Stunden). Demzufolge werden 7,7 Stunden als Arbeitszeit berücksichtigt, auch wenn der Arbeitnehmer insgesamt 10 Stunden unterwegs war.
Nach § 8 Abs. 10 Satz 3 TV-V kann auf Antrag ein Teilausgleich für nicht anrechenbare Reisezeiten erfolgen. Nach dem obigen Beispiel sind 2,2 Stunden der Reisezeit als Arbeitszeit berücksichtigt worden, sodass noch 1,8 Stunden als anrechenbare Reisezeit verbleiben. Ein Antrag kann jedoch nur gestellt werden, wenn die nicht anrechenbaren Reisezeiten insgesamt 15 Stunden im Monat überschreiten. Werden genau 15 Stunden im Monat erreicht, kann der Arbeitnehmer keinen Antrag stellen. Der Teilausgleich erfolgt bei fester Arbeitszeit in Form von bezahltem Freizeitausgleich und bei gleitender Arbeitszeit in Form der Anrechnung auf die Arbeitszeit.
Ein Arbeitnehmer hat 25 Stunden nicht anrechenbarer Reisezeiten am Ende des Monats. Damit kann für 10 Stunden (25 abzüglich 15 Stunden, für die kein Teilausgleich in Betracht kommt) ein Ausgleich in Höhe von 25 % beantragt werden. Bei fester Arbeitszeit erhält der Arbeitnehmer demnach auf Antrag 2,5 Stunden Freizeitausgleich. Bei gleitender Arbeitszeit werden auf Antrag 2,5 Stunden als Arbeitszeit berücksichtigt.
Aus § 8 Abs. 10 Satz 4 TV-V folgt, dass die Regelungen in Absatz 10 auch für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer gelten. Deren besonderer Situation ist Rechnung zu tragen. Damit ist vor allem gemeint, dass der Arbeitgeber bei der Anordnung von Dienstreisen gegenüber Teilzeitbeschäftigten wegen deren Dauer und Lage der Arbeitszeit eine besondere Fürsorgepflicht hat, die er bei Ausübung seines Direktionsrechts beachten muss. Ein Teilausgleich nach Absatz 10 Satz 3 kommt jedoch auch für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer erst dann in Betracht, wenn sie mehr als 15 Stunden nicht anrechenbare Reisezeiten im Monat erreichen. Eine Umrechnung dieser Mindestzahl entsprechend dem Verhältnis der vereinbarten durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit eines entsprechenden vollbeschäftigten Arbeitnehmers findet nicht statt.
In § 8 Abs. 10 Satz 5 TV-V wird ausdrücklich klargestellt, dass bereits existierende Grundsätze oder Abmachungen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind und nach denen Arbeitgeber verfahren, der neuen Tarifregelung vorgehen. Dies bedeutet umgekehrt, dass bislang im Betrieb geltende und aus Arbeitnehmersicht schlechtere Regelungen durch Absatz 10 verdrängt werden.
Reisezeiten, die ein Arbeitnehmer über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus im Interesse des Arbeitgebers aufwendet, hat der Arbeitgeber als Arbeitszeit zu bezahlen, wenn das vereinbart oder eine Vergütung ‹den Umständen nach› zu erwarten ist (§ 612 Abs. 1 BGB). Dies hat das BAG entschieden. Ist eine Regelung nicht getroffen, sind danach die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Einen Rechtssatz, dass solche Reisezeiten stets oder regelmäßig zu bezahlen sind, gibt es nicht. Entsendet der Arbeitgeber den Arbeitnehmer v...