BVerfG, Beschluss v. 14.1.2020, 2 BvR 1333/17
Auch wenn das Verbot, bei bestimmten dienstlichen Tätigkeiten ein Kopftuch zu tragen, einen Eingriff in die Glaubensfreiheit und weitere Grundrechte darstellt, kann dieser Eingriff in die Religionsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Insbesondere ist die Entscheidung des Gesetzgebers, dass sich Rechtsreferendare in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten haben, aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren.
Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin, welche die deutsche und die marokkanische Staatsbürgerschaft hat, war seit Januar 2017 Rechtsreferendarin im Land Hessen. Da sie Muslimin ist, trägt sie in der Öffentlichkeit ein Kopftuch. Vor Beginn ihrer Ausbildung hatte das OLG sie darüber belehrt, dass sich nach hessischer Gesetzeslage Rechtsreferendare im juristischen Vorbereitungsdienst gegenüber Bürgerinnen und Bürgern religiös neutral zu verhalten hätten und sie daher mit Kopftuch keine Tätigkeiten ausüben dürfe, bei denen sie als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden könnte. Hiergegen stellte die Beschwerdeführerin jedoch beim VG einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz; diesen wies der Hessische VGH in der Beschwerdeinstanz zurück. Das von der Beschwerdeführerin beim VG ebenfalls angestrengte Klageverfahren ruht derzeit.
Die Entscheidung
Die Verfassungsbeschwerde gegen das Verbot, bei bestimmten dienstlichen Tätigkeiten ein Kopftuch zu tragen, hat das BVerfG zurückgewiesen.
Das Gericht führte hierzu aus, dass die den Rechtsreferendaren und somit auch der Beschwerdeführerin auferlegte Pflicht in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte individuelle Religionsfreiheit eingreife; dieser Eingriff sei hier jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, insbesondere sei die vorliegende Entscheidung des Gesetzgebers, dass sich dieser Personenkreis in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten habe, aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren.
Das BVerfG begründet dies mit dem Umstand, dass als rechtfertigende Verfassungsgüter die Grundsätze der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege sowie die negative Religionsfreiheit Dritter in Betracht komme. Zwar entfalte das Gebot richterlicher Unparteilichkeit und der Gedanke der Sicherung des weltanschaulich-religiösen Friedens keine rechtfertigende Kraft, da die Verwendung eines religiösen Symbols im richterlichen Dienst für sich genommen nicht geeignet sei, Zweifel an der Objektivität der betreffenden Richter zu begründen; allerdings trete in der Justiz der Staat dem Bürger klassisch-hoheitlich und daher mit größerer Beeinträchtigungswirkung gegenüber. Insoweit sei dies anders zu bewerten als z. B. im Bereich der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule, in der sich gerade die religiös-pluralistische Gesellschaft widerspiegeln solle.
Auch wenn vorliegend für die Position der Beschwerdeführerin spreche, dass das Kopftuch für sie nicht lediglich ein Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten religiösen Gruppe darstelle, sondern das Tragen für sie die Befolgung einer als verbindlich empfundenen Pflicht, für die es z. B. im Christentum kein entsprechendes, derart weit verbreitetes Äquivalent gebe, und somit das allgemeine Verbot religiöser Bekundungen die Beschwerdeführerin härter als andere religiös eingestellte Staatsbedienstete treffe, sei das vorliegende Verbot verfassungsmäßig. Denn es sei hierbei zu berücksichtigen, dass es sich auf wenige einzelne Tätigkeiten beschränke. Es greife dann, wenn Referendare mit richterlichen Aufgaben betraut werden, z. B. bei der Wahrnehmung des staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienstes und bei der Übernahme justizähnlicher Funktionen. Hier hätten auch Rechtsreferendare – wie auch Beamte – die Werte, die das Grundgesetz der Justiz zuschreibt, zu verkörpern. Irrelevant sei hierbei, dass sie sich noch in Ausbildung befänden und nach deren Abschluss womöglich Tätigkeiten ausüben würden, für die die dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht greifen.
Weiter führte das BVerfG aus, dass der Staat ein angemessenes Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit und der Schwere des Eingriffs einerseits und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe andererseits wahren müsse. Im vorliegenden Falle komme jedoch keiner der kollidierenden Rechtspositionen ein derart überwiegendes Gewicht zu, das dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal entweder zu verbieten oder zu erlauben. Aufgrund dessen sei der von der Beschwerdeführerin angegriffene Beschluss des VG und die ihm zugrunde liegende Auslegung von § 27 Abs. 1 Satz 2 JAG i. V. m. § 45 HBG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Auch stelle das vorliegende Verbot keine Beschränkung der Ausbildungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG dar.