Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine mangelhafte Beteiligung des Betriebsrates bei unbewusster Falschinformation
Leitsatz (redaktionell)
Bei wegen Alkoholmissbrauchs 236 Fehltagen von 261 Arbeitstagen besteht eine negative Prognose an künftigen Fehlzeiten. Daneben sind für eine Kündigung wegen Krankheit auch eine negative Gesundheitsprognose und dadurch bedingte betriebliche Störungen erforderlich. Der Betriebsrat ist nur dann nicht ordnungsgemäß angehört, wenn ihm bewusst Fehlinformationen zur Verfügung gestellt worden sind.
Normenkette
BGB § 626; BetrVG § 102
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 07.12.2018; Aktenzeichen 17 Ca 3724/18) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 07.12.2018 - 17 Ca 3724/18 - abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist sein Ende gefunden hat.
Die am ....1967 geborene Klägerin ist seit dem 15. August 1991 bei der beklagten Gewerkschaft als Verwaltungsangestellte gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 3.128,00 € beschäftigt. Sie ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
Die Klägerin ist alkoholabhängig. Vom 02.10.2014 bis 25.12.2014 führte sie eine Entwöhnung durch. In diesem Jahr war sie an 242 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2015 war die Klägerin 185 Arbeitstagen arbeitsunfähig. Am 01.12.2015 trat die "Gesamtbetriebsvereinbarung zur Betrieblichen Suchtprävention und Suchthilfe" (GBV Sucht) in Kraft, die ein Gesprächsmodell in 5 Stufen vorsieht (Anl. B5, Bl. 32ff der Akte).
In den Jahren 2016 und 2017 war die Klägerin durchgängig erkrankt. Unter dem
14.01.2016 wurden der Klägerin 2 Abmahnungen zugesandt (Kopie Bl. 57 der Akte), wobei die Klägerin bestreitet, eine der beiden Abmahnungen erhalten zu haben. Am 11.04.2016 brach die Klägerin eine Entziehungskur ab. Am 22.08.2016 fand ein so genanntes 3. Gespräch auf Basis der GBV Sucht statt. Mit Schreiben vom 21.10.2016 wurde die Klägerin zu einem 4. Gespräch am 18.11.2016 eingeladen. Über den Betriebsrat ließ die Klägerin mitteilen, dass sie nicht kommen werde. Am 02.03.2017 wurde die Klägerin erneut zu einem 4. Gespräch am 23.03.2017 eingeladen. Hierzu erschien sie nicht. Am 21.04.2017 fand ein 5. Gespräch statt. Am 14.06.2017 begann die Klägerin eine Entwöhnungstherapie, die bis zum 12.10.2017 andauerte.
Vom 16.10.2017 bis 04.01.2018 wurde mit der Klägerin ein Praktikum zur Eingewöhnung durchgeführt. Am 05.01.2018 nahm die Klägerin ihre Arbeit wieder auf. Ab dem 15.01.2018 war sie arbeitsunfähig erkrankt. Am 22.01.2018 lieferte der Sohn der Klägerin diese wegen Alkoholmissbrauchs in eine Klinik ein.
Mit der Klägerin fanden Gespräche zum betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) am 29.04.2014, 15.01.2015, 24.03.2015 und 21.02.2017 statt. In der Zeit von September 2014 bis Oktober 2017 wurde die Klägerin insgesamt 16 Mal stationär im Krankenhaus aufgenommen.
Mit Schreiben vom 31.01.2018 (Bl. 137ff der Akte) und 15.02.2018 (Anlage B 16, Bl. 187ff der Akte) wurde der Betriebsrat zu einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist angehört. Mit Schreiben vom 19.02.2018, das die Beklagte am selben Tag erhielt, äußerte der Betriebsrat Bedenken gegen diese Kündigung. Das Integrationsamt stimmte der beabsichtigten Kündigung unter dem 08.02.2018 zu (Anl. B2, Bl. 49ff der Akte). Mit Schreiben vom 23.02.2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit einer Auslauffrist bis zum 30.09.2018. Mit der am 06.03.2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage setzt die Klägerin sich hiergegen zur Wehr.
Die Klägerin hat behauptet, bei dem Gespräch am 21.12.2017 sei ihr bei einem erneuten Rückfall die Kündigung angedroht worden. Als sie am 15.01.2018 erneut arbeitsunfähig wurde, habe sie aus Angst vor dieser Kündigung einen Rückfall erlitten. Das so genannte 3. Gespräch sei in Wirklichkeit ein 1. Gespräch nach der GBV Sucht. Das 5. Gespräch sei als 2. Gespräch zu werten. Nach einer durchgeführten Entwöhnungskur müsse das Verfahren bei erneuten Auffälligkeiten auf der 4. Stufe fortgesetzt werden.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsfeldes der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 23.02.2018 aufgelöst wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, für das Jahr 2014 Entgeltfortzahlungskosten i.H.v. 15.258,00 € und für das Jahr 2015 i.H.v. 13.745,60 € geleistet zu haben. Das Gespräch auf der 3. Stufe sei mit Einverständnis des Betriebsrats erfolgt. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass mit der Klägerin auch vor Inkrafttreten der GBV Sucht Gespräche mit einer vergleichbaren Zielsetzung geführt worden seien.
Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Urteil vom 07.12.2018 der Klage stattgegeben. Es hat dies damit begründet, dass die Interessenabwägung jedenfalls zu Gunste...