Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung bei Kündigung aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen einer Kündigung aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers setzt voraus, daß diese Arbeitsunfähigkeit bei Ausspruch der Kündigung objektiv bestanden hat (vgl. BAG AP Nr. 14 zu § 6 LFZG). Dies schließt die Anwendbarkeit des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG auch dann aus, wenn der Arbeitgeber in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer bevorstehenden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kündigt, weil dieser sich einer ihm mitgeteilten Operation zu unterziehen hat.
2. Mangels einer planwidrigen gesetzgeberischen Lücke scheidet eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG auf diese Fallgestaltung aus.
Leitsatz (redaktionell)
Hinweis der Geschäftsstelle
Das Bundesarbeitsgericht bittet, sämtliche Schriftsätze in 7facher Ausfertigung bei dem Bundesarbeitsgericht einzureichen.
Normenkette
EFZG § 8 Abs. 1 S. 1; RTV § 31; RTV vom 14.04.1989 für die gewerblichen Arbeitnehmer im Gebäudereinigerhandwerk Berlin i.d.F. v. 24.03.1999 § 35
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Entscheidung vom 31.05.2000; Aktenzeichen 35 Ca 36676/99) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 31. Mai 2000 – 35 Ca 36676/99 – abgeändert:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus übergegangenem Recht in Anspruch.
Der bei der Klägerin versicherte Arbeitnehmer … war bei der Beklagten seit dem 03. August 1999 als Glasreiniger beschäftigt. Für die Zeit der ersten drei Monate des Bestehens des Arbeitsverhältnisses war zwischen den Arbeitsvertragsparteien eine Probezeit vereinbart; im übrigen galten die Regelungen des Rahmentarifvertrages vom 14. April 1989 für die gewerblichen Arbeitnehmer im Gebäudereinigerhandwerk Berlin in der Fassung vom 24. März 1999, gültig ab 01. Januar 1999, der für allgemeinverbindlich erklärt wurde.
Am 06. September 1999 vereinbarte der Versicherte mit dem ihn behandelnden Arzt, daß er sich einer für den 16. September 1999 vorgesehenen ambulanten Operation zu unterziehen hatte. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Versicherte die Beklagte davon am 07. September 1999 unterrichtete.
Nachdem der Zugang eines Kündigungsschreibens vom 10. September 1999 fehlgeschlagen war, kündigte die Beklagte dem Versicherten mit Schreiben vom 15. September 1999 zum 16. September 1999 (Bl. 2 d. A.); die Kündigung wurde dem Versicherten per Kurier noch am 15. September 1999 zugestellt.
Die Klägerin leistete dem Versicherten daraufhin Krankengeld für die Zeit vom 17. September bis zum 15. Oktober 1999 in Höhe von 2.010,86 DM. Mit Schreiben vom 11. Oktober 1999 zeigte die Klägerin der Beklagten unter Hinweis auf den Übergang des Entgeltfortzahlungsanspruchs an, daß sie dem Versicherten laufend kalendertäglich 68,66 DM Krankengeld zahle.
Mit der beim Arbeitsgericht am 22. Dezember 1999 eingegangenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Beklagte habe aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten gekündigt, ihr stehe daher für die gesamte Zeit der Krankengeldzahlung der auf sie übergegangene Anspruch auf Entgeltfortzahlung des Versicherten in Höhe des Krankengeldes gegen die Beklagte zu. Der Versicherte habe die Geschäftsführerin der Beklagten auf seine Einsatzstelle im … anläßlich eines Gesprächs, das im Materiallager des Kaufhauses stattgefunden habe, über die bevorstehende Operation mit dem Hinweis unterrichtet, daß dies leider einen Arbeitsausfall von acht bis zehn Tagen zur Folge haben würde, worauf die Geschäftsführerin erwidert habe: „Dafür haben wir Sie eingestellt?”.
Diese Fallgestaltung müsse mit derjenigen gleichgesetzt werden, bei der der Arbeitgeber mit der Möglichkeit rechnen müsse, daß der Arbeitnehmer durch Krankheit an der Arbeitsleistung verhindert sei, auch wenn hier zur Zeit der Kündigung diese Arbeitsunfähigkeit noch nicht eingetreten sei.
Die Beklagte ist dem insbesondere damit entgegengetreten, daß der Versicherte sie von der bevorstehenden Operation nicht in Kenntnis gesetzt habe; ein diesbezügliches Gespräch vom 07. September 1999 habe es nicht gegeben.
Nach Durchführung einer Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen über die von der Klägerin behauptete Kenntnis der Beklagten von der bevorstehenden Operation zur Zeit der Kündigungserklärung hat das Arbeitsgericht durch ein am 31. Mai 2000 verkündetes Urteil der Klage mit dem Antrag,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.010,86 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11. Januar 2000 zu zahlen,
stattgegeben. Es hat die Voraussetzungen einer Kündigung aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten als gegeben angesehen; den Beweis über die Kenntnis der Beklagten hat es aufgrund der Zeugenaussagen als geführt erachtet. Eine ordnungsge...