Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebliche Altersversorgung: Benachteiligung von Außendienstmitarbeitern
Leitsatz (amtlich)
1. Werden Außendienstmitarbeiter in einer Betriebsvereinbarung über eine betriebliche Altersversorgung unter Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausgenommen, steht ihnen im Regelfall nicht ein einzelvertraglicher Anspruch auf der Grundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu. Vielmehr beruht ihr Anspruch unmittelbar auf der Betriebsvereinbarung. Der Ausschluss der Außendienstmitarbeiter ist nämlich wegen des Verstoßes gegen § 75 Abs. 1 BetrVG unwirksam, § 134 BGB. Die Nichtigkeit der Versorgungsordnung in diesem Einzelpunkt führt regelmäßig nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Versorgungsordnung, § 139 BGB.
2. Eine spätere Betriebsvereinbarung, mit der die Betriebsparteien die Außendienstmitarbeiter ausdrücklich in die Altersversorgung einbeziehen, stellt daher eine ablösende Betriebsvereinbarung dar, soweit sie andere Regelungen zur Höhe der Versorgung aufstellt als in der ursprünglichen Betriebsvereinbarung bestanden. Ein derartiger Eingriff ist nur nach Maßgabe der vom Bundesarbeitsgericht entwickelten sogenannten Drei-Stufen-Theorie (vgl. nur 17.03.1987 – 3 AZR 64/84 – BAGE 54, 261 = AP Nr. 9 zu § 1 BetrAVG Ablösung) möglich. Außerdem muss sich auch die ablösende Betriebsvereinbarung am Gleichbehandlungsgebot des § 75 Abs. 1 BetrVG messen lassen.
Normenkette
BetrAVG; BetrVG § 75 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Essen (Entscheidung vom 08.02.2001; Aktenzeichen 1 Ca 3999/00) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 08.02.2001 – 1 Ca 3999/00 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor zur Hauptsache zur Klarstellung wie folgt neu gefasst wird:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab dem 01.11.2000 über die freiwillig gezahlten 582,– DM brutto hinaus eine monatliche Betriebsrente von weiteren 177,73 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 355,46 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 01.11.2000 zu zahlen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe einer Betriebsrente.
Der am 14.08.1937 geborene Kläger war bei der Beklagten – einem Unternehmen der Textilindustrie – seit dem 15.04.1952 zuletzt langjährig als Angestellter im Außendienst tätig. Im Jahr 1999 betrug sein Monatsgehalt durchschnittlich 7.282,08 DM brutto. Nach dem insoweit zuletzt maßgeblichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 17.10.1991 war der Kläger „AT-Angestellter” (§ 3 Abs. 2); sein Gehalt setzte sich zusammen aus einem festen Grundbetrag in Höhe von 23.000,– DM jährlich und einem umsatzabhängigen Anteil (§ 5). Außerdem garantierte die Beklagte der jeweiligen Gruppe von Außendienstmitarbeitern ein Mindest-Durchschnitts-Einkommen. Dieses betrug im Jahr 1990/91 12 × 6.576,– DM und erhöhte sich jährlich um das Zwölffache des absoluten Betrages, um den das monatliche Tarifeinkommen für eine entsprechende Tätigkeit im Laufe des Jahres durch neue Tarifvereinbarungen für die nordrheinische Textilindustrie stieg. Der Kläger gehörte einer Gruppe von sechs Außendienstmitarbeitern an. Auf den Inhalt des Arbeitsvertrages im Übrigen (Bl. 128 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
Bei der Beklagten besteht eine betriebliche Altersversorgung. Diese wurde ursprünglich im Wege einer Unterstützungskasse durchgeführt. Mit der sogenannten Betriebsvereinbarung I vom 28.11.1979 übernahm die Beklagte mit sofortiger Wirkung selbst die betriebliche Altersversorgung. Insoweit schloss sie mit ihrem Betriebsrat am gleichen Tag die „Betriebsvereinbarung II” ab. Diese lautet auszugsweise:
„§ 1
Leistungen, Anspruchsberechtigte
Die Firma Gebrüder C. in E. – Firma – gewährt nach Maßgabe dieser Versorgungsordnung eine betriebliche
Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung.
Auf die Versorgungsleistungen besteht ein Rechtsanspruch gegen die Firma.
Anspruchsberechtigte sind:
1. alle derzeit beschäftigten Betriebsangehörige der Firma.
Als Betriebsangehörige gelten:
- Arbeitnehmer im Sinne des Steuerrechts;
- tätige Gesellschafter;
Angestellte, die im Verkaufsaußendienst tätig sind und eine Umsatzprovision erhalten, sind ausgenommen.
…
§ 5
Bemessungsgrundlage
(1) Bemessungsgrundlage von Alters- und Invalidenrente ist der von einem Betriebsangehörigen während des letzten Kalenderjahres, in der der Mitarbeiter voll beschäftigt war, vor Eintritt des Versorgungsfalls von der Firma durchschnittlich bezogene monatliche Bruttoverdienst; bei einem Teilzeitbeschäftigten ist der Bruttoverdienst maßgebend, den er bei Vollbeschäftigung bezogen hätte. Krankheit und Kurzarbeit bringen keine Minderung.
…
(4) Die Bemessungsgrundlage wird in jedem Fall höchstens mit dem 1,3-fachen des Höchstgehaltes der Gruppe K/T 5 des für die Firma geltenden Tarifvertrages angesetzt.”
Auf den übrigen Inhalt der Betriebsvereinbarungen I und II wird verwiesen (Bl. 47 ff. und Bl. 36 ff. d. A....