Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung fremdnütziger Umkleidezeiten als Arbeitszeit. Unwirksame tarifliche Vergütungsregelung zum Ausschluss arbeitsschutzrechtlich veranlasster Umkleide- und Waschzeiten von der Arbeitszeit
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, fremdnützige Umkleidezeiten als Arbeitszeit zu vergüten, kann durch einen Tarifvertrag nicht abbedungen werden, wenn das Umkleiden als Gründen des Arbeitsschutzes geboten ist.
2. "Maßnahmen des Arbeitsschutzes" i.S.v. § 3 I ArbSchG sind nicht nur Anschaffung und Bereitstellung notwendiger Schutzkleidung, sondern auch das An- und Ablegen der Schutzkleidung sowie dadurch veranlasste Wegezeiten.
3. § 3 Ziff. 6 des Manteltarifvertrag für das Tarifgebiet Hamburg und Umgebung, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Stand Oktober 2008, verstößt gegen § 3 III ArbSchG und ist damit rechtsunwirksam, soweit Umkleide- und damit verbundene Wegezeiten aus der Vergütungspflicht ausgeklammert werden, die durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes veranlasst sind.
Normenkette
ArbSchG § 3 Abs. 1, 3; TVG § 1; BGB § 611 Abs. 1; ArbZG § 2 Abs. 1 S. 1; MTV-Metall- und Elektroindustrie § 3 Nr. 6; ZPO § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 02.07.2014; Aktenzeichen 26 Ca 117/14) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 02.07.2014 (26 Ca 117/14) abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Kläger berechtigt ist, seine persönliche Schutzausrüstung nach dem Einstempeln zu Beginn der Schicht im Zeiterfassungsterminal anzulegen und vor dem Ausstempeln am Zeiterfassungsterminal abzulegen und dass die Beklagte verpflichtet ist, die mit Hilfe des Zeiterfassungsterminals erfassten Zeiten als Arbeitszeit gemäß MTV zu vergüten.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob Zeiten für das An- und Ablegen persönlicher Schutzausrüstung und die damit zusammenhängenden innerbetrieblichen Wegezeiten vergütungspflichtige Arbeitszeit sind.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie, das in seinem Werk in Hamburg Arbeiten im Bereich des Warm- und Kaltwalzens von Aluminium inklusive Gießerei mit ca. 640 Mitarbeitern durchführt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Verbandsmitgliedschaft die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Anwendung, u.a. der Manteltarifvertrag für das Tarifgebiet Hamburg und Umgebung, Schleswig-Holstein, Mecklenburg Vorpommern, Stand Oktober 2008, vereinbart zwischen Nordmetall - Verband der Metall- und Elektroindustrie e.V. Hamburg und IG Metall, Bezirk Küste, Hamburg (nachfolgend MTV). Auszugsweise ist im MTV Folgendes geregelt:
"§ 3 Arbeitszeit
1. Regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit
1.1. Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ohne Pausen beträgt
a) Für Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein 35 Stunden
...
6. Pausen, Umkleiden und Waschen
Zeiten für Umkleiden und Waschen sowie Pausen sind keine Arbeitszeit, soweit nicht innerbetriebliche abweichende Regelungen getroffen werden.
...
§ 6 Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
1. Mehrarbeit
Mehrarbeit ist die angeordnete Überschreitung der individuellen regelmäßigen täglichen Arbeitszeit, die bis zum Arbeitsbeginn des darauffolgenden Tages abgefordert wird.
...
Mehrarbeitszuschläge sind grundsätzlich in Geld zu vergüten.
§ 7 Zuschläge für Mehr, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit
1. Für Hamburg und Umgebung gilt:
1.1. Höhe des Zuschlages
Die Beschäftigten erhalten je Stunde für angeordnete
a) Mehrarbeit 25 % Zuschlag
...
2.6. Bei regelmäßiger Schichtarbeit ist die zur Übergabe der Schicht notwendige Zeit bis zu 30 Minuten mit dem Monatsentgelt abgegolten.
2.7. Eine gelegentliche unvorhergesehene Überschreitung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ebenfalls mit dem Monatsentgelt abgegolten. Sie darf höchstens vier Stunden im Monat betragen.
Das gilt nicht für regelmäßig geleistete Mehrarbeitsstunden. ..."
Im Betrieb der Beklagten gilt die "Betriebsvereinbarung über gleitende Arbeitszeit vom 07.09.2006" (nachfolgend: BV Arbeitszeit). Danach hat der Kläger eine regelmäßige tägliche Soll-Arbeitszeit von sieben Stunden. Die Erfassung der täglichen Arbeitszeit erfolgt mittels eines elektronischen Zeiterfassungssystems. Der Kläger ist verpflichtet, die Arbeitszeit in dem seinem Arbeitsplatz nächstgelegenen Terminal zu erfassen. Die sich aus der Differenz zwischen Kommt- und Geht-Zeit ergebende Anwesenheitszeit am Arbeitsplatz wird dem Arbeitszeitkonto des Klägers gutgeschrieben. Wegen der Einzelheiten dieser Regelung wird auf die Anlage A 1 (Bl. 12f d. A.) Bezug genommen.
Im Betrieb der Beklagten gilt weiterhin eine Anweisung zum Tragen von Arbeitskleidung, persönlicher Schutzausrüstung (PSA) und zusätzlicher Schutzausrüstung für Gießereimitarbeiter, Leiharbeitnehmer, ...