Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksamkeit einer Kündigung wegen Nichtbeachtung der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 BetrVG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Spricht der Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern einer unselbständigen Betriebsabteilung Änderungskündigungen aus, um anstelle einer bisher kalendertäglich gezahlten „Fernauslösung” von 58,15 DM arbeitstäglich Aufwendungsersatz in Form von Wegegeld von 25,00 DM und Fahrtkostenzuschuß für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,70 DM je Entfernungskilometer zu zahlen, so ist die Herabsetzung des Auslösungsvolumens als solche mitbestimmungsfrei. Der Arbeitgeber ist aber bei der Festsetzung des Dotierungsrahmens an vertragliche Vereinbarungen mit den betroffenen Arbeitnehmern mit der Folge gebunden, daß es zur Herabsetzung des Dotierungsrahmens vertraglicher Vereinbarungen oder des Ausspruches von Änderungskündigungen bedarf.

2. Bei einer solchen Fallkonstellation ist von einem Nebeneinander von kollektiv-rechtlicher Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG und individual-rechtlichem Ausspruch einer Änderungskündigung nach § 2 KSchG auszugehen und im Grundsatz eine strenge Trennung zwischen beiden Bereichen vorzunehmen. Eine der Änderungskündigung vorhergehende Mitbestimmung ist für deren Wirksamkeit bei der Absenkung von Auslösungssätzen nicht erforderlich. Es genügt beim Fehlen einer mitbestimmten kollektivrechtlichen Regelung die Folgerung, daß die Änderung unter dem Vorbehalt einer Mitbestimmung des Betriebsrats steht und – solange diese nicht erfolgt ist – nicht durchgesetzt werden kann. Im Falle der Annahme unter Vorbehalt ist dem Arbeitgeber nur die Durchsetzung der durch die Kündigung geänderten Arbeitsbedingungen bis zur Durchführung der Mitbestimmung verwehrt.

3. Wandelt sich die Änderungskündigung wegen Nichtannahme des Änderungsangebotes oder infolge verspäteter Vorbehaltserklärung in eine Beendigungskündigung um, kann sich der Arbeitnehmer weiterhin auf die Rüge der fehlenden Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG stützen. Er geht dann allerdings das Risiko ein, daß der Arbeitgeber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist die Zustimmung des Betriebsrats einholt oder durch Spruch der Einigungsstelle ersetzen läßt oder es zu einer Regelungsabsprache über den Mitbestimmungsgegenstand mit der Folge kommt, so daß das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers dann zum Kündigungstermin beendet wird, eben weil der Arbeitgeber rechtlich in der Lage wäre, im Falle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Änderung der Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

4. Erhält der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats nicht und wird diese auch nicht durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt und kommt auch – wie vorliegend – keine Regelungsabsprache über den Mitbestimmungsgegenstand zustande, dann könnte der Arbeitgeber im Falle der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Änderung der Arbeitsbedingungen gerade nicht durchzusetzen, so daß auch eine mangels Vorbehalt in eine Beendigungskündigung umschlagende Änderungskündigung zum Kündigungstermin nicht rechtswirksam vollzogen werden kann. Der Auffassung, in einem solchen Falle werde infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Durchsetzung der Mitbestimmung für den Arbeitnehmer nicht mehr relevant (BAG, Urt. v. 17.06.1998 – 2 AZR 336/97, AP Nr. 49 zu § 2 KSchG 1969), kann nicht gefolgt werden.

Hamm, den 11.11.1999

gez. Berscheid

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10; KSchG § 2

 

Verfahrensgang

ArbG Bochum (Entscheidung vom 07.12.1995; Aktenzeichen 3 Ca 1221/94)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 23.11.2000; Aktenzeichen 2 AZR 690/99)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 07.12.1995 (3 Ca 1221/94) abgeändert:

Es wird festgestellt, daß die Kündigung vom 27.04.1994 rechtsunwirksam ist und das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.10.1994 aufgelöst hat.

Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 17.100,– DM = 8.743,09 EUR festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers durch eine mangels Vorbehalt in eine Beendigungskündigung umgeschlagene Änderungskündigung der Beklagten aufgelöst worden ist.

Die Beklagte ist auf dem Gebiet des Stahlbaus, Stahlapparatebaus und Behälterbau tätig. Sie arbeitet für einen Kundenkreis von wenigen Unternehmen. Sie unterhält unter anderem seit vielen Jahren Dauerbaustellen bei den Firmen S AG in B, H AG in H und A O AG in B.

Der am 05.11.1945 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 01.03.1978 bei der Beklagten beschäftigt. Seine Ehefrau ist halbtags erwerbstätig, seine Kinder sind volljährig und nicht mehr unterhaltsbedürftig. Der Kläger hat zuletzt als Obermonteur ein monatliches Bruttoeinkommen von rund 5.700,– DM erzielt. Er war auf der Dauerbaustelle der Beklagten bei der S AG in B beschäftigt.

Die Beklagte zahlte ursprünglich an die auf der Dauerbaustelle bei der S A...

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