Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlussfristen. Tarifvertrag, Treu und Glauben, Arglisteinwand, öffentlicher Dienst, Kulturorchester, Auslagepflicht, Nachweisgesetz, Hinweispflicht, Verjährung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Berufung des öffentlichen Arbeitgebers auf Ausschlussfristen eines arbeitsvertraglich vereinbarten Tarifvertrags gegenüber Ansprüchen auf beiderseits übersehene Vergütungsbestandteile (Zulagen) ist auch dann nicht unzulässig, wenn der Arbeitnehmer die Fristen nicht kannte, der Tarifvertrag weder dem Arbeitnehmer übergeben noch betrieblich ausgelegt wurde und die – fehlerhafte, weil unvollständige – Entgeltberechnung vom Arbeitgeber selbst vorgenommen und durch regelmäßige Gehaltsabrechnungen jahrelang bestätigt worden ist. Diese Umstände stehen auch einer Berufung auf die gesetzliche Verjährung nicht entgegen.
2. Die schriftliche Vereinbarung eines namentlich bezeichneten Tarifvertrags genügt der Hinweispflicht aus § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG.
3. Ein Tarifvertrag enthält keine „Allgemeinen Geschäftsbedingungen”; Ausschlussklauseln in Tarifverträgen sind weder ungewöhnlich noch überraschend i. S. d. AGB-Gesetzes.
Normenkette
BAT § 70; TVK § 52; TVG § 8; BGB § 196 Abs. 1 Nr. 8, § 242; NachwG § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10
Verfahrensgang
ArbG Köln (Entscheidung vom 31.01.2001; Aktenzeichen 15 Ca 9503/00) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 31.01.2001 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln – 15 Ca 9503/00 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO)
Die Parteien – nämlich die beklagte Stadt und der von ihr seit August 1991 in ihrem städtischen Orchester als Musiker beschäftigte Kläger – streiten darum, ob eine tarifliche Tätigkeitszulage, die die Beklagte seit Juli 1999 zahlt, auch rückwirkend bis zum Beginn des Arbeitsverhältnisses nachzuzahlen ist – und zwar in einer Gesamthöhe von 69.270,08 DM. Die Beklagte hat sich auf Verjährung sowie auf die Ausschlußfrist des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) berufen, dessen Geltung sie mit dem nicht tarifgebundenen Kläger im Arbeitsvertrag vereinbart hat. Der Kläger hat die Berufung der Beklagten auf die tariflichen Ausschlußfristen für unzulässig weil treuwidrig gehalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter und wiederholt seinen Arglisteinwand: Ihm sei die Ausschlußfrist nicht bekannt gewesen. Die Beklagte habe nicht auf sie hingewiesen – weder im Arbeitsvertrag noch durch Auslage des Tarifvertrags in gesetzlich vorgeschriebener Form (§ 8 TVG). Sie selbst habe seine Vergütung falsch berechnet, indem sie die Tätigkeitszulage übersehen habe und durch regelmäßige Gehaltsabrechnungen den falschen Eindruck der Vollständigkeit erweckt.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Berufung und betont, daß im Arbeitsvertrag der Parteien auf die Möglichkeit, den Tarifvertrag einzusehen, hingewiesen wird. Er habe auch zur Einsicht bereit gelegen – nämlich bei der Verwaltung des Orchesters, beim Direktor des Orchesters, im Personalamt und beim Personalrat. Ihren Standpunkt, die Berufung auf die tariflichen Ausschluß- und die gesetzlichen Verjährungsfristen sei zulässig, begründet die Beklagte mit Rechtsausführungen. Im übrigen sei „nicht nachvollziehbar”, ob der Kläger im streitigen Zeitraum überhaupt die Anspruchsvoraussetzungen des für die Tätigkeitszulage einschlägigen § 26 TVK erfüllt habe.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist unbegründet, weil die streitigen Ansprüche, ihr Entstehen unterstellt, nach § 52 TVK verfallen sind, soweit nicht schon kraft Gesetzes Verjährung eingetreten ist (§ 196 Abs. 1 Nr. 8 BGB). In der Begründung folgt das Gericht der angefochtenen Entscheidung, weshalb insoweit von der Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen wird (§ 543 Abs. 1 ZPO). Die Gründe halten auch den Angriffen der Berufung stand:
So ist es unerheblich, ob der Kläger die tarifliche Ausschlußfrist kannte: Tarifliche Ausschlußfristen – ähnlich wie gesetzliche Verjährungsfristen – wirken ohne Rücksicht auf den Kenntnisstand dessen, an den sie sich wenden (BAG, Urteil vom 16.08.1983 – 3 AZR 206/82 in AP Nr. 131 zu § 1 TVG Auslegung; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Aufl., § 205 IV).
Unerheblich ist auch, daß dem Kläger kein Tarifvertrag übergeben wurde: Gemäß § 8 TVG sind Arbeitgeber nicht zur Übergabe, sondern lediglich zur betrieblichen Auslage der maßgeblichen Tarifverträge verpflichtet. Ob die Beklagte hiergegen verstoßen hat, kann aber dahinstehen: Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann sich der Arbeitgeber grundsätzlich auch dann auf tarifliche Ausschlußfristen berufen, wenn er den einschlägigen Tarifvertrag nicht im Betrieb ausgelegt hat (BAG, Urteil vom 08.01.1970 – 5 AZR 124/69 in AP Nr. 43 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; Urteil vom 06.07.1972 – 5 AZR 100/72 in AP Nr. 1 zu § 8 TVG 1969; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch...