Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen Ausfallserscheinungen bei Alkohol- und Spielsucht
Leitsatz (amtlich)
1. Erhebliche Pflichtverletzungen können die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers rechtfertigen, der an einer Alkohol- oder Spielsucht leidet. Bei einem Fehlverhalten, das über typisch suchtbedingte Ausfallerscheinungen hinausgeht, kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer schuldhaft gehandelt hat; ihm muss vor der Kündigung auch keine Gelegenheit gegeben werden, sich einer Therapie zu unterziehen.
2. Zur Einhaltung der Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB in Großunternehmen
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1-2
Verfahrensgang
ArbG Köln (Urteil vom 21.09.2001; Aktenzeichen 5 Ca 4441/01) |
Tenor
1) Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 21.09.2001 – 5 Ca 4441/01 – wird zurückgewiesen.
2) Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
3) Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der 1970 geborene, gegenüber seiner Ehefrau und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war – nach einer Vorbeschäftigung vom 01.10.1988 bis 31.07.1992 – seit dem 12.10.1992 bei der Beklagten als Montagearbeiter zu einem monatlichen Bruttolohn von ca. 4.168,– DM beschäftigt.
Der Kläger leidet an Spielsucht. Deswegen nahm er nach einer psychiatrischen Begutachtung vom 12.03. bis 14.05.2001 an Sitzungen einer Therapie-Gruppe teil. Um sich finanzielle Mittel zu beschaffen, entwendete er Anfang März 2001 einem Arbeitskollegen die Scheckkarte und hob von dessen Konto 9.900,– DM ab. Dies nahm die Beklagte zum Anlass, ihm unter dem 30.04.2001 fristlos und unter dem 03.05.2001 vorsorglich fristgerecht zum 30.06.2001 zu kündigen. Die fristlose Kündigung ging dem Kläger am 02.05.2001 zu. Vor diesen Kündigungen war der Kläger am 27.03.2001 polizeilich vernommen und am 12.04.2001 durch den Werkschutz befragt worden. Die Personalgruppenleiterin bei der Beklagten hatte den Ermittlungsbericht am 17.04.2001 erhalten. Unter dem 23.04.2001 hatte die Beklagte den Betriebsrat zu beiden Kündigungen angehört. Der Betriebsrat hatte keine Stellungnahme abgegeben.
Der Kläger hat behauptet, aufgrund seiner Spielsucht sei er bei der Geldentwendung nicht mehr fähig gewesen, sein Verhalten zu steuern. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen müssten nach den für die Alkoholsucht geltenden Grundsätzen der krankheitsbedingten Kündigung behandelt werden. Außerdem habe die Beklagte nicht die für die außerordentliche Kündigung geltende zweiwöchige Ausschlussfrist nach 626 Abs. 2 BGB beachtet, weil sie sich bereits die Kenntnis aus den Ende März/Anfang April 2001 gemachten Mitteilungen des bestohlenen Arbeitskollegen zurechnen lassen müsse.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit den Anträgen,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose Kündigung vom 30.04.2001 noch durch die ordentliche Kündigung vom 03.05.2001 aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht.
- die Beklagte zu verurteilen, den Kläger als Montagearbeiter zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf Bl. 48 ff d.A. Bezug genommen.
Gegen das ihm am 14.11.2001 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat der Kläger am 13.12.2001 Berufung eingelegt, die nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28.01.2002 am 15.01.2002 begründet worden ist. Unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags beruft er sich auf eine Persönlichkeitsveränderung und Geschäftsunfähigkeit in Vermögensangelegenheiten.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie behauptet wie bereits im ersten Rechtszug, der Kläger sei bei dem Diebstahl zielgerichtet und willensgesteuert vorgegangen. Außerdem, so meint sie, müsse berücksichtigt werden, dass sich der Kläger schon bei Begehung der Tat in therapeutischer Behandlung befunden habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten haben die Parteien auf ihre im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen.
a) Die Beklagte war berechtigt, dem Kläger aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen, weil Tatsachen vorliegen, aufgrund derer ihr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuzumuten war (§ 626 Abs. 1 BGB).
aa) Dass schon die Entwendung geringfügiger Gegenstände eine fristlose Kündigung an sich rechtfertigen kann, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt (s. zuletzt BAG vom 12.08.1999 – 2 AZR 923/98 = EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Zwar betreffen die hierzu ergangenen Entscheidungen regelmäßig den Diebstahl von im Eigentum des Arbeitgebers steh...