Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsausbildungsverhältnis. Verdachtskündigung. wiederholte Verspätung im Betrieb und in der Berufsschule
Leitsatz (amtlich)
1. Verdachtskündigungen sind im Berufsausbildungsverhältnis grundsätzlich nicht zuzulassen. Eine Ausnahme ist möglich, wenn der besondere Charakter des Ausbildungsverhältnisses eine vertiefte Vertrauensbasis zwischen Ausbilder und Auszubildendem erfordert. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor, wenn der Auszubildende den Posteingang bearbeitet und der Ausbilder ihn verdächtigt, mehrere Briefe der Berufsschule unterdrückt zu haben, mit denen der Ausbilder über wiederholte Verspätungen des Auszubildenden in der Berufsschule unterrichtet werden sollte, und mehrere Abmahnungen aus seiner Personalakte eigenmächtig entfernt zu haben.
2. Zur Erforderlichkeit einer letzten eindringlichen Abmahnung des Auszubildenden wegen wiederholter Verspätungen im Betrieb und in der Berufsschule vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung im fortgeschrittenen Ausbildungsstadium.
Normenkette
BBiG § 22 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Bonn (Urteil vom 18.08.2005; Aktenzeichen 1 Ca 1431/05) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 18. August 2005 – 1 Ca 1431/05 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten noch darüber, ob das zwischen ihnen begründete Ausbildungsverhältnis durch fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. April 2005 beendet worden ist.
Die Klägerin, geboren am 10. April 1984, war seit dem 1. August 2003 Auszubildende bei der Beklagten für den Beruf einer Kauffrau für Bürokommunikation.
Mit Schreiben vom 21. April 2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Zur Begründung gab sie u. a. an, die Klägerin sei wiederholt und trotz Abmahnung verspätet zur Arbeit erschienen, zuletzt am 19. April 2005. Am 20. April 2005 sei sie deshalb abgemahnt worden. Danach habe ein Anruf in der Berufsschule ergeben, dass sie auch wiederholt zum Berufsschulunterricht verspätet erschienen sei und dies bereits Thema einer Schulkonferenz gewesen sei. Drei von der Berufsschule an die Beklagte gerichtete schriftliche Hinweise auf dieses Verhalten der Klägerin hätten den Geschäftsführer der Beklagten nicht erreicht. Da die Klägerin den Briefkasten leere und den Posteingang bearbeite, liege der Verdacht nahe, dass sie diese Briefe unterschlagen habe. Die Klägerin habe bei ihrer Befragung angegeben, sie wisse nur von einem Hinweisschreiben der Berufsschule, das allerdings an sie selbst gerichtet gewesen sei. Des weiteren seien zwei Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin verschwunden. Zudem habe die Klägerin ihre Klassen- und Prüfungsarbeiten trotz Anweisung der Berufsschule nicht von der Beklagten abzeichnen lassen.
Eine Verhandlung über die Wirksamkeit der Kündigung vor dem Schlichtungsausschuss der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg am 4. Mai 2005 blieb ergebnislos.
Mit der vorliegenden Klage, die am 11. Mai 2005 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangen ist, wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung.
Sie hat vorgetragen, zu Beginn ihrer Ausbildung habe sie im August 2003 zwei Abmahnungen erhalten. Eine Abmahnung sei mit der Begründung erfolgt, sie habe einen Büroschlüssel verloren, einen Personalcomputer nicht abgeschaltet und einen Brief nicht zur Post gebracht. An den Inhalt der anderen Abmahnung könne sie sich nicht erinnern. Wegen verspäteten Dienstbeginns habe sie nur eine Abmahnung erhalten, und zwar die vom 20. April 2005. Zuvor sei sie lediglich ermahnt worden, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Sie habe regelmäßig über das reguläre Dienstende hinaus gearbeitet. Über die Verspätungen in der Berufsschule sei die Beklagte unterrichtet gewesen, da sie im Zeugnis 2003/2004 vermerkt gewesen seien. Sie habe keine Schreiben der Berufsschule unterschlagen und auch keine Schreiben aus ihrer Personalakte entfernt. Der Geschäftsführer habe sie vor Ausspruch der Kündigung nicht zu dem Vorwurf angehört, sie habe Schreiben unterdrückt.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe sich wiederholt verspätet, und zwar im Jahr 2004 zehn- bis zwölfmal und ihm Jahr 2005 fünf- bis sechsmal. Sie sei deshalb zunächst ermahnt und im Juni/Juli 2004 zweimal abgemahnt worden. Beide Abmahnungen seien zu der Personalakte der Klägerin genommen worden. Nach der letzten Abmahnung vom 20. April 2005 habe ein Anruf in der Berufsschule ergeben, dass auch dort die Klägerin wiederholt verspätet erschienen sei, dies auf einer Klassenkonferenz erörtert worden sei und drei schriftliche Mitteilungen von der Berufsschule an die Beklagte gerichtet worden seien, die aber weder ihren Geschäftsführer noch eine andere Person im Betrieb erreicht hätten. In einem telefonischen Gespräch habe ihr Geschäftsführer der Klägerin vorgehalten, er habe den Verdacht, dass sie – die Klägerin – die drei schriftlichen Mitteilungen der Berufsschule an sich genommen habe. Auch habe er ihr vorgehal...