Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit eines Kündigung. Übergang eines Arbeitsverhältnisses infolge Betriebsübergangs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum erforderlichen Feststellungsinteresse bei einer auf den Unwirksamkeitsgrund des § 613 a Abs. 4 BGB gestützten Klage.

2. Der Begriff des Unternehmens im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 77/187/EWG umfasst jede auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Eine wirtschaftliche Tätigkeit in diesem Sinne liegt bereits vor, wenn dem Betrieb materielle und/oder immaterielle Wirtschaftsgüter einschließlich der menschlichen Arbeitskraft zugeordnet sind, die der Betriebsinhaber für seine Tätigkeit nutzt. Die Erbringung hoheitlicher Aufgaben steht damit der Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht entgegen.

3. Eine Übertragung von hoheitlichen Verwaltungsaufgaben, die die Anwendung der Richtlinie 77/187/EWG ausschließt (vgl. EuGH, 15.10.1996, Rs C-298/94, AP Nr. 13 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187), liegt nur dann vor, wenn die Zuständigkeit für eine hoheitliche Aufgabe wechselt, ohne dass dem eine wirtschaftliche Entscheidung zugrunde liegt, die von der Richtlinie erfasst wird. Der gesetzliche Kompetenzwechsel hinsichtlich der Aufgabe der Fleischbeschau nach einer Privatisierung eines öffentlichen Schlachthofs ist daher noch vom Zweck der Richtlinie erfasst und stellt einen Unternehmensübergang im Sinne der Richtlinie 77/187/EWG dar.

4. Darüber hinaus sind auch öffentlich-rechtlich organisierte Einheiten zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben Betriebe im Sinne von § 613 a BGB. Ein Betriebsübergang im Sinne von § 613 a BGB kann daher auch vorliegen, wenn hoheitliche Aufgaben übertragen werden, sofern die übrigen für einen Betriebsübergang maßgeblichen Kriterien erfüllt sind.

 

Normenkette

BGB § 613a; Nds. Gefahrenabwehrgesetz § 101 Abs. 2-3; Zust-VO zum Nds. Gefahrenabwehrgesetz § 2 Ziff. 1 d

 

Verfahrensgang

ArbG Verden (Aller) (Entscheidung vom 12.11.1998; Aktenzeichen 2 Ca 17/98)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung ihrer Berufung im Übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 12.11.1998 – 2 Ca 17/98 – teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

  1. Die Klage gegen die Beklagte zu 1) wird als unzulässig abgewiesen.
  2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) auf den Beklagten zu 2) übergegangen ist.
  3. Die Kosten der 1. Instanz werden nach einem Wert von 21.600,00 DM der Klägerin auferlegt. Die des Berufungsverfahrens werden nach einem Wert von 43.200,00 je zur Hälfte der Klägerin und dem Beklagten zu 2) auferlegt.
  4. Die Revision wird hinsichtlich des Urteilsausspruchs zu Ziff. 2. für den Beklagten zu 2) zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin durch die Beklagte zu 1) und um den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagten zu 2) infolge eines Betriebsübergangs.

Die am … geborene, nicht tarifgebundene Klägerin war seit 1980 im Fleischhygieneamt der Beklagten zu 1), bei der mehr als fünf Arbeitnehmer ohne Auszubildende tätig sind, beschäftigt. Sie verdiente zuletzt etwa 8.700,– DM brutto monatlich.

Der Beklagten zu 1) oblag kraft gesetzlicher Regelung die Fleischbeschau in dem öffentlichen Schlachthof W. …, in dem die Klägerin ausschließlich eingesetzt war. Die Klägerin wurde zunächst als vollbeschäftigte Tierärztin beschäftigt. Aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung galten die Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT). Mit Wirkung ab 1. Mai 1984 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag, durch den der ursprüngliche Arbeitsvertrag einvernehmlich abgelöst wurde. Die Klägerin wurde als nicht vollbeschäftigte Fleischbeschautierärztin tätig. Das Arbeitsverhältnis bestimmte sich nach dem Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen vom 1. April 1969 (künftig: TV Ang iöS) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Die Arbeitszeit richtete sich gemäß § 3 des Arbeitsvertrages nach dem Arbeitsanfall und der Heranziehung zur Arbeitsleistung. Durch Nebenabrede vom 27. April 1984 sicherte die Beklagte zu 1) der Klägerin eine wöchentliche Beschäftigung von mindestens 25 Stunden zu. Die Vertragsänderung ging auf den Wunsch der Klägerin zur Reduzierung der wöchentlichen Stundenbelastung zurück. Eine bloße Stundenreduzierung unter Weitergeltung des Arbeitsvertrages und damit des BAT für das Arbeitsverhältnis hatte die Beklagte zu 1) abgelehnt, weil der den Schlachthof W. betreibende Zweckverband der hierzu notwendigen Einrichtung einer vierten Planstelle einer hauptamtlichen Tierärztin nicht zugestimmt hatte. Bis September 1995 betrug die durchschnittliche monatliche Arbeitszeit der Klägerin 140 bis 150 Stunden. Seit Oktober 1995 wurde sie regelmäßig mit mindestens 170,92 Stunde...

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