Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertretungsfall als sachlicher Grund einer Befristungsabrede. Kein sachlicher Befristungsgrund bei Kenntnis der langdauernden Arbeitsunfähigkeit des befristet eingestellten Vertreters. Wissensvertreter ohne Vertretungsmacht
Leitsatz (amtlich)
Weiß ein Arbeitgeber, dass ein befristet eingestellter Arbeitnehmer während der gesamten Vertragsdauer arbeitsunfähig sein wird, kann er die Befristung nicht mit dem Sachgrund der Vertretung rechtfertigen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeitsvertrags liegt vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Teil des Sachgrunds ist eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs nach Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters.
2. Hat ein Niederlassungsleiter zwar keine Willenserklärung abgegeben und auch nicht im eigentlichen Sinne als Vertreter des Arbeitgebers gehandelt, ist sein Wissen dem Arbeitgeber jedoch als Wissensvertreter analog § 166 BGB zuzurechnen. Wissensvertreter ist derjenige, der ohne Vertretungsmacht eigenverantwortlich für den Geschäftsherrn handelt.
Normenkette
TzBfG § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 2, § 17; BGB § 166
Verfahrensgang
ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 23.11.2022; Aktenzeichen 3 Ca 81/22) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 23.11.2022 - 3 Ca 81/22 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der am 27.04.22 vereinbarten Befristung am 28.05.22 beendet ist.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Paketzusteller weiter zu beschäftigen.
Im Übrigen wird die Klage (bezüglich des Antrages zu Ziffer 2) als unzulässig abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer mit Sachgrund erfolgten Befristung des Arbeitsverhältnisses und um vorläufige Weiterbeschäftigung.
Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit dem 19.10.2020 als Paketzusteller. Dieser Beschäftigung liegt der Arbeitsvertrag vom 19.10.2020 zu Grunde, der eine Befristung bis zum 14.11.2020 enthielt und sodann zunächst von den Parteien dreimal aufgrund weiterer befristeter Verträge bis zum 30.04.2022 verlängert worden war.
Der Kläger war seit dem 23.04.2022 über den Mai 2022 hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Am 23.04.2022 kontaktierte er seinen Niederlassungsleiter per WhatsApp. Er teilte mit, dass er mit einem Paket gestürzt sei, sein Bauch immer dicker geworden sei, er ins Krankenhaus gebracht und ihm schwindlig gewesen sei. Ferner teilte er mit, einen Nabelbruch zu haben und die Auskunft erhalten zu haben, dass er vielleicht noch heute operiert werde.
Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers wurde durch mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dokumentiert. Die Erstbescheinigung vom 25.04.2022 wies den Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 23.04.2022 bis zum 08.05.2022 aus, unter dem üblichen Hinweis "voraussichtlich arbeitsunfähig". Diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung übermittelte der Kläger entweder am Montag, den 25.04.2022 oder am Dienstag, den 26.04.2022 durch seine Freundin als Botin. Sie übergab diese Bescheinigung Herrn K., dem stellvertretenden Niederlassungsleiter. Herr K. ließ sodann den von der Beklagten unterschriebenen streitgegenständlichen Vertrag über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses dem Kläger zukommen, der ihn unterzeichnet entgegengenommen und sodann seiner Freundin zur Weiterleitung übergeben hat. Diese hat den Vertrag wiederum zu Herrn K. gebracht.
Herr H., Leiter der Niederlassung B., war der Ansprechpartner des Klägers in allen Vertragsangelegenheiten.
Der streitgegenständlich befristete Vertrag vom 27.04.2022 sah die Tätigkeit des Klägers als Paketzusteller vom 01.05.2022 bis 28.05.2022 (befristet) vor, in welchem als Sachgrund "Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters S., L., M. und H." genannt ist. Der Kläger sollte Frau S., Frau L., Herrn M. und Herrn H., die bei der Beklagten als Zusteller mit 38,5 / Woche beschäftigt sind, während deren Urlaubs vertreten. Frau S. hatte vom 30.04.2022 bis zum 08.05.2022 Urlaub, Frau L. vom 09.05.2022 bis zum 15.05.2022, Herr M. vom 16.05.2022 bis zum 22.05.2022 und Herr H. vom 23.05.2022 bis zum 28.05.2022.
Mit seiner auf Entfristung seines Arbeitsverhältnisses gerichteten Klage, beim Arbeitsgericht am 13.06.2022 eingegangen, hat der Kläger geltend gemacht, es habe von vornerein festgestanden, dass er die genannten Mitarbeiter nicht habe vertreten können. Er hat behauptet, er habe nicht nur per WhatsApp, sondern auch telefonisch den Niederlassungsleiter H. über seinen am 23.04.2022 erlittenen Arbeitsunfall informiert. Ein 30 kg schweres Paket sei aus der Kopfhöhe mit der...